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Potenziale des dualenStudiums in den MINT-FächernEine empirische UntersuchungAndrä Wolter, Caroline Kamm, Katharina Lenz,Peggy Renger, Anna Spexard (Hrsg.)acatech STUDIEDezember 2014

Autoren/Herausgeber:Prof. Dr. Andrä WolterHumboldt-Universität zu BerlinInstitut für ErziehungswissenschaftenAbteilung HochschulforschungGeschwister-Scholl-Str. 710099 BerlinKatharina LenzBerufsausbildung und Weiterbildung im KonzernVolkswagen Group AcademyVolkswagen AktiengesellschaftBrieffach 011/135238436 WolfsburgCaroline KammHumboldt-Universität zu BerlinInstitut für ErziehungswissenschaftenAbteilung HochschulforschungZiegelstraße 13c10117 BerlinPeggy RengerBerufsausbildung und Weiterbildung im KonzernVolkswagen Group AcademyVolkswagen AktiengesellschaftBrieffach 011/135238436 WolfsburgAnna SpexardHumboldt-Universität zu BerlinInstitut für ErziehungswissenschaftenAbteilung HochschulforschungGeschwister-Scholl-Str. 710099 BerlinReihenherausgeber:acatech – DEUTSCHE AKADEMIE DER TECHNIKWISSENSCHAFTEN, 2014GeschäftsstelleHauptstadtbüroResidenz MünchenUnter den Linden 14Hofgartenstraße 210117 Berlin80539 MünchenBrüssel-BüroRue d’Egmont/Egmontstraat 131000 BrüsselBelgienT 49 (0) 89 / 5 20 30 90F 49 (0) 89 / 5 20 30 99T 32 (0) 2 / 2 13 81 80F 32 (0) 2 / 2 13 81 89T 49 (0) 30 / 2 06 30 96 0F 49 (0) 30 / 2 06 30 96 11E-Mail: [email protected]: www.acatech.deKoordination: Dr. Thomas LangeRedaktion: Veronika Sager, Linda Treugut, Sandra LehmannLayout-Konzeption: acatechKonvertierung und Satz: Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS,Sankt AugustinDie Originalfassung der Publikation ist verfügbar auf www.utzverlag.de

DIE REIHE acatech STUDIEIn dieser Reihe erscheinen die Ergebnisberichte von Projekten der DeutschenAkademie der Technikwissenschaften. Die Studien haben das Ziel der Politikund Gesellschaftsberatung zu technikwissenschaftlichen und technologie politischen Zukunftsfragen.

Inhalt INHALTVORWORT9PROJEKT111 EINLEITUNG: DUALES STUDIUM IM AUFWIND? POTENZIALE DES DUALEN STUDIUMSAUS SICHT VON WIRTSCHAFT, GESELLSCHAFT UND WISSENSCHAFT1.1 Fachkräftebedarf im MINT-Sektor1.2 Akademisierung und Konkurrenzeffekte1.3 Potenziale des dualen Studiums aus Sicht von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik1.4 Varianten des dualen Studiums und ihre Verbreitung1.4.1 Studienformate1.4.2 Verbreitung dualer Studiengänge1.4.3 Besonderheiten des dualen Studiums1.5 Forschungsstand: Duale Studiengänge aus Sicht der Wissenschaft1.5.1 Befragungen (potenzieller) Studierender sowie von Absolventinnen und Absolventen1.5.2 Unternehmensbefragungen1.5.3 Befragungen von Hochschulen und Berufsakademien1.6 Ziel des Projekts131316171919202425262931312 FORSCHUNGSDESIGN2.1 Projektstruktur2.2 Online-Befragung von Studierenden in dualen MINT-Studiengängen2.2.1 Stichprobe2.2.2 Durchführung2.2.3 Fragebogen2.2.4 Datenauswertung2.3 Interviews2.3.1 Stichprobe2.3.2 Durchführung2.3.3 Leitfaden2.3.4 Auswertung2.4 Erarbeitung der Empfehlungen35363737404040404041424242

Potenziale des dualen Studiums3 POTENZIELLE ZIELGRUPPEN DUALER MINT-STUDIENGÄNGE – WER IST GEEIGNET UND WARUM?3.1 Eignungsvoraussetzungen3.1.1 Leistungsstärke3.1.2 Interesse und fachliche Neigung3.1.3 Persönlichkeitsprofil3.2 Zielgruppen für ein duales Studium3.2.1 Schulbildung3.2.2 Berufliche Vorerfahrungen3.2.3 Studien- und Ausbildungsabbruch3.2.4 Soziale Herkunft, Geschlecht und Migrationshintergrund3.3 Zusammenfassung43434448515657596466684 STUDIERENDE IN DUALEN MINT-STUDIENGÄNGEN – WER STUDIERT DUAL UND WARUM?4.1 Studienformate und Institutionstypen der Stichprobe4.2 Soziodemografische Daten4.3 Wege ins duale Studium4.3.1 Zulassungsvoraussetzungen4.3.2 Übergang ins duale Studium4.3.3 Berufsabschluss vor dem dualen Studium4.3.4 Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen4.3.5 Studienentscheidung und Alternativen4.3.6 Motive der Studienentscheidung4.4 Zusammenfassung71717278798182838485925 NEUE UND BESTEHENDE ZIELGRUPPEN FÜR DUALE MINT-STUDIENGÄNGE5.1 Zielgruppen aus Sicht von Politik und Wissenschaft5.2 Eignungskriterien und weitere Zielgruppen nach Meinung der Expertinnen und Experten5.3 Sechs Zielgruppen für duale MINT-Studiengänge5.3.1 Menschen mit Migrationshintergrund, aus bildungsfernen oder sozial schwachen Familien5.3.2 Studienabbrecherinnen und -abbrecher5.3.3. Frauen5.3.4 Beruflich Qualifizierte mit und ohne Hochschulreife5.3.5 Abiturientinnen und Abiturienten allgemeinbildender Gymnasien5.3.6 Abiturientinnen und Abiturienten von Gesamt- oder Sekundarschulen6959596979798989899100

Inhalt6 STÄRKEN UND SCHWÄCHEN DES DUALEN STUDIUMS6.1 Praxisnahes Studium6.1.1 Theorie-Praxis-Verzahnung aus Sicht der Studierenden6.1.2 Herausforderungen bei der Theorie-Praxis-Verzahnung für Hochschulen6.1.3 Praxisorientierung aus Sicht der Unternehmen6.1.4 Fazit: Praxisnähe des dualen Studiums – Wunschvorstellung oder Realität?6.2 Wege nach dem dualen Studium: Berufstätigkeit und/oder Masterstudium6.2.1 Vom Studium direkt in den Beruf6.2.2 Studierende mit hohen Ansprüchen6.2.3 Unternehmensbindung als Chance und Herausforderung6.2.4 Aufnahme eines Masterstudiums6.2.5 Fazit: Duales Studium als Chance oder Risiko?6.3 Effizienz- und Effektivitätsgewinne durch das duale Studium6.3.1 Effizienzeffekte des dualen Studiums6.3.2 Duales Studium als effektives Studienmodell6.3.3 Fazit: Duales Studium – Ein effizienter und effektiver Weg?6.4 Finanzielle und institutionelle Rahmenbedingungen6.4.1 Studienfinanzierung und Studiengebühren6.4.2 Institutionelle Rahmenbedingungen der Unternehmen6.4.3 Fazit: Sicherheit für Studierende, Herausforderungen für Unternehmen und Hochschulen6.5 Informationsprozesse und Informationsdefizite6.5.1 Informations- und Entscheidungs prozesse der Studierenden6.5.2 Image des Studiums und Bekanntheit der Studienformate6.5.3 Fazit: Früh informieren und Transparenz erhöhen6.6 Fazit: Potenziale und Herausforderungen für die Ansprache neuer und alter Zielgruppen6.6.1 Praxisnahes Studium6.6.2 Wege nach dem dualen Studium: Berufstätigkeit und Masterstudium6.6.3 Effizienz- und Effektivitätsgewinne durch das duale Studium6.6.4 Finanzielle Rahmenbedingungen6.6.5 Informationsprozesse und 21221231237 ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN125LITERATUR133ANHANG1417

VorwortVORWORTacatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaftensetzt sich intensiv mit dem dualen Studium auseinander.Hintergrund ist insbesondere die Diskussion über den absehbar hohen Fachkräftebedarf und die Frage, wie maneinem möglichen Fachkräftemangel in den naturwissenschaftlichen und technischen Berufen entgegenwirkenkann. Die Beantwortung dieser Frage stellte in den vergangenen Jahren einen Schwerpunkt der Aktivitäten vonacatech im Bildungsbereich dar, denn der wirtschaftlicheErfolg Deutschlands stützt sich in hohem Maße auf Innovationen und Hightech-Produkte. Zur Sicherung dieses Erfolgsist die deutsche Wirtschaft auch zukünftig auf gut ausgebildete und hoch qualifizierte Fachkräfte angewiesen.Als eine nationale Akademie hat acatech die Aufgabe, Politik und Gesellschaft basierend auf dem besten Standdes Wissens zu beraten. Daher sollen am Ende des ProjektesMobilisierung von Bildungspotenzialen für die MINT-Fachkräftesicherung – Der Beitrag des dualen Studiums Empfehlungen an Politik, Wirtschaft, Bildungsinstitutionen und dieWissenschaft vorgelegt werden.Üblicherweise stützt sich acatech bei ihren Projekten aufvorliegende Forschungsergebnisse, die aufgegriffen, diskutiert und ausgewertet werden. Jedoch zeigte sich, dass diewenigen vorliegenden Studien unzureichend waren undkeine Grundlage für Handlungsempfehlungen in Bezugauf Fachkräftesicherung bilden konnten. Deshalb wurdenmehrere empirische Untersuchungen durchgeführt, d erenErgebnisse hier vorgestellt werden. Die Studie wurde inalleiniger Verantwortung von den Autorinnen und dem Herausgeber erstellt. Auf die hier veröffentlichten Ergebnisse der Studie stützen sich die Handlungsempfehlungen.Sie wurden in der gesamten Projektgruppe erarbeitet, vom acatech Präsidium syndiziert und in einer acatech POSITIONveröffentlicht.Wir danken der Volkswagen AG, der Firma Rittal, demMinisterium für Wirtschaft und Wissenschaft des LandesSachsen-Anhalt und der TÜV SÜD AG für ihr Interesse amProjekt, ihr Engagement und ihre großzügige finanzielleUnterstützung. Unser Dank gilt ebenfalls den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Befragung, der Interviewsund der Workshops für die Zusammenarbeit und den intensiven Gedankenaustausch.Prof. Dr. Andrä WolterHumboldt-Universität zu Berlin9

ProjektPROJEKTAuf Grundlage dieser Studie entstand in dem Projekt auchdie acatech POSITION Potenziale des dualen Studiums inden MINT-Fächern (acatech 2014).———————— PROJEKTLEITUNG——Prof. Dr. Andrä Wolter, Humboldt-Universität zu Berlin/acatech———— PROJEKTGRUPPE———— Julia Barger, Technische Hochschule Mittelhessen, StudiumPlus—— Armin Baur, Daimler AG—— Johanna Bittner-Kelber, Bundesministerium fürWirtschaft und Energie—— Prof. Dr. Harald Danne, Technische Hochschule Mittelhessen, StudiumPlus—— Nils Frohloff, duales-studium GmbH—— Michael Geipel, Ministerium für Wissenschaft,Forschung und Kunst Baden-Württemberg—— Laura Gersch, Wissenschaftsrat—— Prof. Dr. Klaus Griesar, Merck KGaA—— Sonja Haberland, hochschule dual—— Dr. Lydia Hartwig, Bayerisches Staatsinstitut fürHochschulforschung und Hochschulplanung—— Kevin Heidenreich, Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V.—— Dr. Robert Helmrich, BIBB – Bundesinstitut ———Dr. Bernd Kaßebaum, IG MetallOlaf Katzer, Volkswagen AGDr. Wolfgang Menzel, Hochschule Zittau/GörlitzDr. Volker Meyer-Guckel, Stifterverband für die Deutsche WissenschaftKarl-Heinz Minks, Deutsches Zentrum für Hochschulund WissenschaftsforschungKerstin Mucke, Bundesministerium für Bildung und ForschungProf. Dr. Bärbel Renner, Duale Hochschule BadenWürttembergGunter Schanz, Ministerium für Wissenschaft, Forschungund Kunst Baden-WürttembergProf. Dr. Robert F. Schmidt, Hochschule Kempten,hochschule dualDr. Angela Schubert, Ministerium für Wissenschaft undWirtschaft Sachsen-AnhaltGabriele Sommer, TÜV SÜD AGChristian Tauch, HochschulrektorenkonferenzRita Ulrich, Bundesministerium für Wirtschaft undEnergieDr. Peter Vießmann, Ministerium für Wissenschaft undWirtschaft Sachsen-AnhaltProf. Dr. Bernd Zinn, Universität Stuttgart PROJEKTKOORDINATION—— Dr. Thomas Lange, acatech Geschäftsstelle—— Dr. Martina Röbbecke, acatech Geschäftsstelle11

Potenziale des dualen Studiums PROJEKTTEAM FINANZIERUNGWissenschaftliche Mitarbeiterinnen—— Caroline Kamm, Humboldt-Universität zu Berlin—— Katharina Lenz, Volkswagen AG—— Peggy Renger, Volkswagen AG—— Anna Spexard, Humboldt-Universität zu BerlinDas Projekt wurde vom Ministerium für Wirtschaft und Wissen schaft des Landes Sachsen-Anhalt mit Mitteln aus dem Gesetzzur Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben und Finanz hilfen (Entflechtungsgesetz – EntflechtG) gefördert.Studentische Hilfskräfte—— Lorina Buhr, acatech Geschäftsstelle—— Andreas Rottach, acatech Geschäftsstelle—— Maximilian Seidel, acatech Geschäftsstelleacatech dankt außerdem den folgenden Unternehmen fürihre Unterstützung:Rittal GmbH & Co. KGTÜV SÜD StiftungVolkswagen AG PROJEKTLAUFZEITJuli 2012 bis August 2014Ein besonderer Dank gilt dem acatech Förderverein für seineUnterstützung.Sofern nicht anders vermerkt, beruhen alle in der STUDIE genannten Zahlen und Aussagen auf den durch das Projektteamgeführten Interviews sowie der Auswertung von Fragebögen.12

Einleitung1 EINLEITUNG: DUALES STUDIUM IM AUFWIND?POTENZIALE DES DUALEN STUDIUMS AUSSICHT VON WIRTSCHAFT, GESELLSCHAFT UNDWISSENSCHAFTSeit einigen Jahren ist die Gefahr eines drohenden Fachkräftemangels, besonders in den sogenannten MINTFächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften,Technik), in öffentlichen, politischen und akademischenDebatten omnipräsent. Zugleich rückt das duale Studium,das bereits Anfang der 1970er-Jahre in Baden-Württembergmit der Errichtung der Berufsakademie eingeführt wurde,in Diskussionen zum Thema MINT-Bildung und Fachkräftesicherung ebenso wie in der Studienreformdebatte zunehmend in den Mittelpunkt. Verschiedene Akteure aus Politik,Wissenschaft und Wirtschaft betonen immer wieder dieVorteile dualer Studiengänge und treten für deren Stärkungein. Das Angebot an dualen Studiengängen hat deutlichzugenommen und stößt auf eine steigende Nachfrage.Daher hat acatech ein Projekt initiiert, das sich aus einerspezifischen Perspektive mit dem dualen Studium beschäftigt. Im Zentrum stand die Frage, ob und wie es gelingenkann, über das duale Studium neue Zielgruppen für dieMINT-Fächer zu erreichen – also Personengruppen anzusprechen und für ein Studium zu gewinnen, die bisherals wenig studienaffin galten. Mit dieser Problemstellungwar zugleich die Frage nach den spezifischen Stärken undSchwächen dualer Studiengänge aus der Sicht der Studierenden verbunden. Auf Grundlage der gesammeltenInformationen wurden dann Handlungsempfehlungen fürPolitik und Gesellschaft erarbeitet.Dass in Deutschland ungenutzte Bildungspotenziale vorhanden sind, darauf deuten die im OECD-Vergleich niedrigen Studienberechtigten- und Studienanfängerquoten hin,wobei hier gegenwärtig ein starker Anstieg zu beobachtenist. Auch wenn der Anteil der Studienanfängerinnen und-anfänger im MINT-Bereich in den letzten Jahren wiedergestiegen ist, gibt es hier noch Entwicklungspotenziale. So1verzichtet ein nicht unerheblicher Anteil an Personen, dieüber eine Studien berechtigung verfügen, auf die Aufnahmeeines Hochschulstudiums.Im Folgenden soll zunächst auf den aktuellen Stand derDiskussion über den zukünftigen Fachkräftebedarf eingegangen werden. In diesem Rahmen wird häufig Bezug aufden Prozess der Akademisierung der Arbeitswelt genommen;deshalb wird auf diese Debatte anschließend kurz eingegangen. Als Grundlage für alle folgenden Analysen werden danndie verschiedenen Varianten des dualen Studiums und seinegegenwärtige Verbreitung erläutert. Anschließend sollen diewichtigsten Gesichtspunkte geschildert werden, unter denendie verschiedenen Akteure den Stellenwert und die Poten ziale des dualen Studiums diskutieren. Das Kapitel endet miteinem Überblick über den aktuellen Forschungsstand zumdualen Studium. Zusammenfassend werden in einem letztenSchritt die Ziele des Projekts dargestellt.1.1 FACHKRÄFTEBEDARF IM MINT-SEKTORDie Gefahr des Fachkräftemangels, insbesondere in technischen und ingenieurwissenschaftlichen Berufen, erfuhrin den letzten Jahren in der wissenschaftlichen und öffent lichen Diskussion breite Aufmerksamkeit. Da die vorliegende Studie den Beitrag des dualen Studiums zur MINTFachkräftesicherung untersucht, soll einleitend die aktuelleDebatte in Deutschland zum Fachkräftebedarf kurz dargestellt werden. In regelmäßigen Abständen werden vonverschiedenen Einrichtungen Prognosen veröffentlicht,die auf Grundlage unterschiedlicher Vorannahmen undModell rechnungen zu abweichenden Ergebnissen kommen.Bei der Interpretation der Ergebnisse ist es wichtig, die Angaben differenziert zu betrachten.1Für eine ausführlichere Methodenkritik siehe Brenke 2010; Cordes 2012.13

Potenziale des dualen StudiumsDas Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW) geht indem für die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeit geberverbände (BDA), den Bundesverband der DeutschenIndustrie (BDI), die Plattform MINT Zukunft schaffen2und Gesamtmetall erstellten MINT-Herbstreport 2012von einem steigenden jährlichen Gesamtbedarf an in denArbeitsmarkt eintretenden MINT-Akademikerinnen und -Akademikern aus. Angetrieben werde der steigende Bedarf von mehreren Faktoren: einem Höherqualifizierungstrend, einer Expansion des MINT-Sektors, beispielsweisedurch die Energiewende, und einem steigenden Ersatzbedarf an Akademikerinnen und Akademikern. Der Gesamtbedarf steigt nach Schätzungen des IW von aktuell rund105.400 auf 112.500 ab dem Jahr 2016 und auf 120.700ab dem Jahr 2020 an.3 Die Prognos AG führt basierendauf eigenen Berechnungen aus, dass es bis 2035 einenstarken Mangel an Akademikerinnen und Akademikernin den Bereichen Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaften geben wird.4 Die Berlin-BrandenburgischeAkademie der Wissenschaften (BBAW) geht ebenfallsvon einer zukünftigen Fachkräftelücke aus und nennt die„Ausweitung der Berufsfelder und Kompetenzen in Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen für Absolventinnen und Absolventen von MINT-Studienfächern“5, eine negative Migrationsbilanz bei Fachkräften und mangelndesInteresse an einer MINT-Ausbildung als Ursachen. Dieszeigt sich auch in der Tatsache, dass in der Vergangenheit vorhandene Studienplatzkapazitäten im MINT-Bereich234567891011121314nicht ausgeschöpft werden konnten, da es nicht genugBewerberinnen und Bewerber gab.6Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)geht in seinen neuesten Veröffentlichungen noch nicht voneiner generellen Fachkräftelücke7 aus, sondern prognostiziert einen „Mismatch8 auf dem Arbeitsmarkt in qualifikatorischer, beruflicher und regionaler Hinsicht [ ], so dass invielen Arbeitsmarktsegmenten offene Stellen nicht besetztwerden können“9. Das Erwerbspersonenpotenzial10 werdezwar zurückgehen, aber dieser Entwicklung könne durchMobilisierung von beispielsweise Frauen und Älteren sowiegezielter Anwerbung von Fachkräften aus dem Auslandentgegengewirkt werden.11 Mit Engpässen im Angebot anFachkräften ist aber auf einzelbetrieblicher, regionaler oderfach- und branchenspezifischer Ebene durchaus zu rechnen.Helmrich et al. weisen in einer aktuellen Publikation desIAB außerdem darauf hin, dass Engpässe bis 2030 vor allem bei Fachkräften mit mittleren Bildungsabschlüssenauftreten und dass nicht alle MINT-Berufe in gleicher Weisebetroffen sein werden.12Neben sektorübergreifenden Studien werden auch regelmäßig branchenspezifische Analysen durchgeführt; sostellt BITKOM anhand einer Analyse unbesetzter Stelleneinen aktuellen Mangel an IT-Fachkräften in Deutschlandfest.13 Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) veröffentlichtin Zusammenarbeit mit dem IW, basierend auf den ZahlenPlattform für MINT-Einzelinitiativen von Unternehmen und Verbänden (http://www.mintzukunftschaffen.de).Vgl. IW 2012, S. 42.Vgl. Prognos AG 2013.BBAW 2012, S. 10.Vgl. Berthold et al. 2009. Als Fachkräftelücke und Fachkräftemangel wird ein „dauerhafter Überschuss der Arbeitsnachfrage über das Arbeitsangebot“ (BA 2011, S. 6)bezeichnet. „In der Ökonomie wird von ‚Mismatch‘ gesprochen, wenn offene Stellen auch bei Arbeitslosigkeit nicht besetzt werden können. Mismatchergibt sich einerseits durch Informations- und Suchdefizite, aber auch daraus, dass Arbeitsnachfrage und -angebot im Hinblick auf beruflicheQualifikationen, Regionen und Sektoren nicht zueinander passen.“ (BA 2011, S. 5).IAB 2013, S. 4.Das Erwerbspersonenpotenzial umfasst die Erwerbstätigen, die Erwerbslosen und die Stille Reserve.Vgl. IAB 2013.Vgl. Helmrich et al. 2012.Vgl. BITKOM 2007, 2010.

Einleitungder Bundesagentur für Arbeit, monatlich die aktuellen Entwicklungen des Ingenieurangebots und der Ingenieurnach frage.14 Auf Basis des Vergleichs von Arbeitslosen und offenen Stellen wird aktuell eine hohe Arbeitskräftenachfrage im Ingenieurbereich festgestellt.15 Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie konstatiert Engpässe16 in den Ingenieurberufen17 und berichtet, dass achtder zehn Berufsgattungen mit den größten Engpässen beiAkademikerinnen und Akademikern aus dem MINT-Bereichstammen.18 „Fachkräfteengpässe in diesen Berufen sind besonders ausgeprägt und stellen deutsche Unternehmen vorneue Herausforderungen bei der Rekrutierung und Bindungvon hochqualifiziertem Personal mit MINT-Abschluss.“19Die Bundesagentur für Arbeit betont jedoch, dass „[t]rotz solcher Engpässe in einzelnen Berufsgruppen und Regionen [ ] man aber heute noch nicht von einem generellenFachkräftemangel in Deutschland sprechen [kann]“20.Auch wenn das Ausmaß des Fachkräftemangels umstritten ist, besteht weitgehende Einigkeit über die Wirkungeiner Reihe von Faktoren auf den Fachkräftebedarf imMINT-Bereich. Eine wichtige Determinante des Fachkräfte bedarfs ist der demografische Wandel in Deutschland.Es werden weniger Kinder geboren, die Bevölkerung inDeutschland schrumpft und altert, der Anteil an Menschen im Erwerbsalter wird mittelfristig sinken und dieBelegschaften werden deutlich älter.21 Über die genauenAuswirkungen von sinkenden Geburtenraten auf die Zahlder Studierenden sowie der Absolventinnen und Absolventen sind keine gesicherten Aussagen möglich, da neben1415161718192021222324der Geburtenzahl beziehungsweise der Größe der Alterskohorten hier auch die Bildungsbeteiligung – zum Beispieldie Studierquote – eine Rolle spielt. Die Nachfrage nachPlätzen für Studien anfängerinnen und -anfänger wirdzunächst bis mindestens 2025 auf einem hohen Niveaubleiben.22 Von ebenso großer Bedeutung ist das Interessean bestimmten Fächern und die Attraktivität einer Ausbildung im MINT-Bereich.Eine weitere Ursache für die Verschärfung des durch dendemo grafischen Wandel verursachten Fachkräftemangelskönnte die hohe Anzahl an Ingenieurinnen und Ingenieurensein, die in den Ruhestand gehen.Neben dem demografischen Wandel gibt es noch andereGründe für den Fachkräftebedarf. Der Trend zur Höherqualifizierung und Akademisierung von Tätigkeiten führtzu e iner höheren Nachfrage nach MINT-Akademikerinnenund -Akademikern.23 Der schnelle technologische Wandelund kürzere Innovationszyklen tragen außerdem dazubei, dass Fachkräfte ständig weiterqualifiziert werden müssen.24Ungeachtet der bestehenden Uneinigkeiten über den exakten zukünftigen Fachkräftebedarf wird deutlich, dassin Deutschland ein erheblicher Handlungsbedarf gegebenist, wenn die deutsche Wirtschaft langfristig mit gut ausgebildeten Fachkräften versorgt werden soll. Das dualeStudium könnte bei der Fachkräftesicherung eine wichtigeRolle /vdi-iw-ingenieurmonitor/ [Stand: 17.03.2014].Vgl. VDI 2013. „Ein Engpass liegt dann vor, wenn zumindest kurzfristig Probleme bei der Besetzung von Vakanzen auftreten. Ein Mangel tritt auf, wenn sichein solcher Engpass langfristig bestätigt und verstärkt.“ (BMWi 2012, S. 3).Vgl. BMWi 2012.Vgl. BMWi 2013.BMWi 2013, S. 14.BA 2011, S. 6.Vgl. Cordes 2012.Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012.Vgl. acatech 2009; Berthold et al. 2009.Vgl. Minks et al. 2011.15

Potenziale des dualen Studiums1.2 AKADEMISIERUNG UND KONKURRENZEFFEKTEIn den Debatten zum Fachkräftemangel fällt häufig dasSchlagwort Akademisierung, ohne zu konkretisieren, wasgenau damit gemeint ist. Akademisierung beschreibt nichteinen einzigen Prozess, sondern dahinter verbergen sich verschiedene Entwicklungen. Als Akademisierung kann erstensder Wandel der volkswirtschaftlichen Qualifikationsstrukturdurch sogenannte Tertiarisierung bezeichnet werden.25 Danach steigt der Anteil des Dienstleistungssektors sowohl ander Wertschöpfung wie auch an der Zahl der Erwerbstätigen, und innerhalb dieses Sektors wächst insbesondere derAnteil der Beschäftigten mit Hochschulabschluss.Zweitens verändert sich das Ausbildungsverhalten: Die Berufsbildung verzeichnet weniger Neuzugänge und dieStudienanfängerzahlen steigen.26 Diese Umschichtungwird ebenfalls häufig – tendenziell kritisch – als Akademisierung bezeichnet. Auch die Öffnung der Hochschulen fürBerufstätige mit und ohne herkömmliche Studienberechtigung trägt zu dieser Entwicklung bei.Drittens wird die Einrichtung von Studiengängen in Bereichen, die zuvor eher durch betriebliche Berufsbildung oderBerufsfachschulen abgedeckt wurden, unter den BegriffAkademisierung gefasst. Diese formelle Akademisierungberuflicher Ausbildungsgänge, auch Upgrading genannt,ist insbesondere an Berufsfachschulen beziehungsweiseFachschulen zu finden27, beispielsweise in den GebietenPflege, Gesundheit und Erziehung.Akademisierung kann sich viertens auf den Trend beziehen,Akademikerinnen und Akademiker in Positionen einzustellen, die vormals durch Absolventinnen und Absolventeneiner beruflichen Ausbildung besetzt wurden. Hier wird25262728293016Vgl. Wolter 2013.Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012.Vgl. Wolter 2013.Vgl. Wolter 2013.Kaiser 1977, S. 270.Vgl. Lüttinger 1994.oft auch von vertikaler Substitution gesprochen. Dahinterkönnen sich wiederum unterschiedliche Entwicklungen verbergen. Es kann sich um die zunehmende Besetzung vonArbeitsplätzen, die in ihren Anforderungen nicht an einenbestimmten Abschluss gebunden sind (zum Beispiel in derMedienbranche), mit Hochschulabsolventinnen und -absolventen handeln. Oder das größere Angebot an akademischqualifizierten Arbeitskräften verdrängt Personen mit niedrigerer Berufsqualifikation. Dies kann auch zu einer Dequali fizierung führen, etwa wenn Absolventinnen und Absolventen von Bachelorstudiengängen häufiger als solche derfrüheren Studienformate (Diplom, Magister) auf Arbeitsplätzen beschäftigt werden, die bislang nicht mit Hochschulabsolventinnen und -absolventen besetzt wurden.28Zurückzuführen ist diese Form der Akademisierung auchauf sich verändernde Tätigkeitsprofile und gestiegeneQuali fikationsanforderungen als Konsequenz einer immerwissens- und humankapitalintensiveren Arbeit.Die Auseinandersetzung mit der Akademisierung ist keinesfalls neu, sondern wurde bereits im Zuge der Bildungs expansion in den 1970er-Jahren begonnen. Hier konzentrierte sich die Diskussion auf eine Akademisierung desBeschäftigungssystems, also eine „Erhöhung des Anteils derErwerbstätigen mit Hochschulabschluss an allen Erwerbstätigen“29. Auch die Akademisierung, ausgedrückt in steigenden Studierendenzahlen, wurde bereits früher thematisiert.30 DieAkademisierung, verstanden als die Einführung von Studien gängen in Bereichen, die traditionell der beruf lichen Bildungzugerechnet werden, wird ebenfalls schon seit Jahren konstatiert und lässt sich anhand der steigenden Anzahl anStudien gängen in diesen Bereichen belegen.Gerade die Verdrängung von Absolventinnen und Absolventen beruflicher Ausbildungsgänge auf dem Arbeitsmarkt

Einleitungkönnte für das duale Studium relevant sein. Wenn das dualeStudium Bildungspotenziale mobilisiert, könnte es möglicher weise eine Konkurrenz für berufliche Ausbildungsgänge inzweierlei Hinsicht darstellen. Erstens könnte es einen Wettbewerb um fähige Bewerberinnen und Bewerber mit einerHochschulzugangsberechtigung geben, und zweitens könnten Absolventinnen und Absolventen dualer Studiengängeund beruflicher Ausbildungen um dieselben Arbeitsplätzekonkurrieren.Die Ergebnisse der vorliegenden Studierendenbefragungzeigen, dass dual Studierende als Alternative zum dualenStudium mehrheitlich ein reguläres Studium und nicht eineberufliche Ausbildung in Erwägung gezogen haben. DieseBefunde deuten darauf hin, dass das duale Studium eherim Wettbewerb mit anderen Studiengängen und wenigermit beruflichen Ausbildungsgängen steht.Für eine mögliche Verdrängung von Absolventinnen undAbsolventen beruflicher Ausbildungen durch solche, dieüber einen dualen Studienabschluss verfügen, gibt es bislang keine Hinweise.31 Berufsausbildung und dualesStudium werden als komplementär wahrgenommen32und ihnen werden unterschiedliche Zielfunktionen zuge wiesen:„Während die duale Berufsausbildung der Sicherung derStrukturen in der Facharbeit einschließlich ihrer Entwicklungswege im gewerblich-technischen Bereich [und inanderen Beschäftigungsfeldern, Anm. d. V.] dient, führtdas duale Studium in die Forschungs- und Entwicklungsbereiche, die Führungsebenen der Fachbereiche oder indas mittlere Management.“333132333435363738Es lässt sich aber stellenweise beobachten, dass Ausbildungsplätze in duale Studienplätze umgewandeltwerden; auch Meisterinnen und Meister sowie Technikerinnen und Techniker werden in manchen Fällen durch Akademikerinnen und Akademiker ersetzt.34 Diese Veränderungen hängen jedoch vor allem mit veränderten Arbeitsinhalten zusammen.1.3 POTENZIALE DES DUALEN STUDIUMS AUS SICHTVON WIRTSCHAFT, WISSENSCHAFT UND POLITIKIn öffentlichen und akademischen Bildungsdebatten nimmtdas duale Studium einen immer prominenteren Platz ein. VonAkteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik wird dasduale Studium als Lösung verschiedener Probleme empfohlen.In der Wirtschaft beschäftigen sich sowohl Arbeitnehmerals auch Arbeitgebervertretungen mit dem dualen Studium.Die IG Metall veröffentlichte bereits 2006 eine Überblicksstudie zur Entwicklung des dualen Studiums35, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) erstellte2012 eine kurze Studie zur Sicht der Unter nehmen auf duale Studiengänge.36 Auch die Hans- Böckler-Stiftung trägtzur Debatte um duale Studiengänge regelmäßig bei.37 DieBundesvereinigung Deutscher Arbeitgeber (BDA) e mpfiehltals eine mögliche Strategie, den Fachkräfte mangel zu bekämpfen, die Bildungszeiten zu optimieren, um so einen früheren Eintritt ins Berufsleben zu ermög lichen. Auf das dualeStudium wird als eine besonders zeiteffiziente Möglichkeitdes Studiums hingewiesen.38 Der DIHK empfiehlt das duale Studium, denn „[e]in d uales Studium kommt einerseitsin idealer Weise dem Trend zu höherer Bildung entgegenVgl. Graf 2013; Becker 2012.Vgl. Graf 2013.Becker 2012, S. 61.Vgl. Graf 2013.Vgl. Becker 2006.Vgl. Heidenreich 2012.Vgl. u. a. Busse 2009; Heidemann 2011; Becker 2012.Vgl. BDA 2010; IW 2008; Berthold et al. 2009.17

Potenziale des dualen Studiumsund ermöglicht gleichzeitig eine praxisnahe betrieblicheAusbildung“39. Die Initiative MINT Zukunft schaffen, einZusammenschluss von MINT-Einzelinitiativen von Verbänden und Unternehmen, fordert einen Ausbau der dualenMINT- Studiengänge, um dem Fachkräfte mangel entgegenzuwirken.40 Das duale Studium wird als eine höchst wirksame Möglichkeit angesehen, die Versorgung von Industrie und industrienaher Wirtschaft mit MINT- Fachkräftenmaßgeblich zu unterstützen, da es in relativ kurzer Zeit denUnternehmen hoch qualifizierte und im Hinblick auf die Bedarfe des U

6.2.5 Fazit: Duales Studium als Chance oder Risiko? 112 6.3 Effizienz- und Effektivitätsgewinne durch das duale Studium 112 6.3.1 Effizienzeffekte des dualen Studiums 112 6.3.2 Duales Studium als effektives Studienmodell 113 6.3.3 Fazit: Duales S