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Mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern umgehen –ein Leitfaden für Führungskräfte und PersonalmanagerPraxisPapier 6 / 2011DGFP e.V. (Hg.)Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. Düsseldorf ISSN 1613-2785

ISSN 1613-2785Herausgeber:Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V.Niederkasseler Lohweg 1640547 DüsseldorfLeiter Forschung und ThemenDr. Sascha ArmutatFon 49 211 5978-124Fax 49 211 5978-29124E-Mail: [email protected] Autorin oder der Autor trägt / die Autoren tragen die Verantwortungfür die Einhaltung der urheberrechtlichen Bestimmungen. Zum Zeitpunktder Drucklegung führten die Verweise auf Internetseiten zu den gewünschten Inhalten. Sollten zu einem späteren Zeitpunkt die Internetseiten verändert worden sein, distanziert sich die Autorin oder der Autor / distanzierensich die Autoren von den inhaltlichen Aussagen der Internetseiten.

Mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern umgehen – ein Leitfaden InhaltsverzeichnisVorwort1. 5Stress, Burn-out und Co. – psychische Belastungen in der modernen Arbeit(Anke Palumbo, Volker Weissinger). 72.Psychische Belastungen und psychische Beanspruchungen. 102.1Belastungen sind nicht gleich Beanspruchungen (Christel Hoyer) . 102.2Psychische Belastungen und psychische Erkrankungen (Thomas Langhoff) .123.Belastende Situationen und psychische Beanspruchungen – das Konzept.173.1Zusammenhänge (Sascha Armutat).173.2Akteure und deren Aufgaben .193.3Überblick über präventive und akute Maßnahmen.224.Umgang mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern – ein Leitfaden für Führungskräfte .254.1Rollenklärung – individuelle Vorbereitung der Führungskraft (Sascha Armutat) .254.2Psychische Belastungen und Beanspruchungen wahrnehmen (Sascha Armutat).264.34.44.2.1Indikatoren für psychisch belastende Arbeitssituationen .264.2.2Indikatoren für psychisch beanspruchte Mitarbeiter .27Psychisch beanspruchte Mitarbeiter ansprechen (Christel Hoyer, Ferdinand Leist) .294.3.1Anlass des Gesprächs. 304.3.2Ziel des Gesprächs. 304.3.3Gesprächsvorbereitung .314.3.4Gesprächsdurchführung .33Was folgt nach dem Gespräch – weitere Schritte und mögliche Eskalationsstufen(Sascha Armutat).344.5Präventive Maßnahmen initiieren .384.5.1Maßnahmen der Arbeitsgestaltung (Thomas Langhoff; Marcel Temme).384.5.2Kompensationsmöglichkeiten bei psychisch belasteten Mitarbeitern (ThomasLanghoff). 405.Hintergrundwissen: Rechtliche Grundlagen zum Umgang mit psychisch belastetenMitarbeitern (Christoph Beyer, Irmgard Henseler-Plum).436.Unternehmensbeispiele . 466.1Deutsche Annington Immobilien GmbH: Erste Schritte eines Pilotprojekts(Elke Nippold-Rothes, Thomas Rauhe). 466.2Psychische Gesundheit bei E.ON: „Sich und andere gesund führen“ (Uwe Nickel).476.2.1Einleitung.476.2.2Planung und Auftakt.476.2.3Psychische Gesundheit: Beruf, soziales Umfeld und Persönlichkeit .486.2.4Information und Antistigmatisierung . 496.2.5Sensibilisierung und Training von Führungskräften . 506.2.6Ausblick.52Copyright DGFP e.V. - ISSN 1613-2785PraxisPapier 6 / 2011 - Seite 3

Mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern umgehen – ein Leitfaden 7.Schlusswort.538.Anhang .548.1Das Belastungs-Beanspruchungs-Modell und die DIN EN ISO 10075-1 (ThomasLanghoff) .548.2Employee Assistance Program (EAP) in Zusammenarbeit mit einem externenDienstleister – das Beispiel der Polysius AG .578.3Einsatz von Verfahren zur Analyse von Belastungen (Anke Palumbo, VolkerWeissinger).618.3.1Allgemeine Hinweise für den Einsatz von Analyseverfahren .658.5Ausgewählte Kontaktstellen.668.6Abbildungsverzeichnis .698.7Kopiervorlagen „Vorbereitung auf das Gespräch“.69Copyright DGFP e.V. - ISSN 1613-2785PraxisPapier 6 / 2011 - Seite 4

Mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern umgehen – ein Leitfaden VorwortOb Burn-out, psychosomatische Erkrankungen oder Suchtprobleme – Arbeitsverdichtungund wirtschaftlicher Druck führen immer häufiger zu psychischen Problemen, zunehmendauch bei jüngeren Mitarbeitern1. Die demografische Entwicklung verstärkt diesen Trend. Infast allen Unternehmen zeigt sich, dass sie auch Spuren bei der psychischen Konstitutionder Belegschaft hinterlässt. Hier entsteht für Unternehmen ein neues Risiko, dennMitarbeiter mit psychischen Problemen büßen ihre Leistungsfähigkeit ein. Sie sind nicht inder Lage, die Kräfte zu mobilisieren, die sie zur Bewältigung schwierigerUnternehmenssituationen benötigen.Die Konsequenzen einer psychisch belasteten Belegschaft für die Arbeitgeberattraktivitätsind nicht zu unterschätzen. Bewerber und psychisch stabile Mitarbeiter bringen sichlieber bei einem Arbeitgeber ein, der Work-Life-Balance-Aspekte berücksichtigt.Die Deutsche Gesellschaft für Personalführung e. V. (DGFP) hat vor diesem Hintergrundeinen Arbeitskreis zum Thema „Umgang mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern“gegründet, um einen Leitfaden für Führungskräfte zu entwickeln. Dieser Leitfaden sollihnen helfen, psychische Belastungen zu erkennen und professionell mit psychischbeanspruchten Mitarbeitern umzugehen. Es war keine Veröffentlichung zum betrieblichenGesundheitsmanagement im Ganzen beabsichtigt, sondern eine Hilfe speziell zum Themapsychische Gesundheit von Mitarbeitern.Wir danken den Mitgliedern des Arbeitskreises für ihre Diskussionsbeiträge, Impulse undTexte zu dieser Veröffentlichung. Die Inhalte wurden gemeinsam erarbeitet, einigeArbeitskreismitglieder wurden auch als Autoren tätig. So richten wir unseren Dank für ihrEngagement ganz besonders an: Eva Beeck, Bayer AGIrmgard Henseler-Plum, Universitätsklinikum Köln (AöR)Christel Hoyer, Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung BGF GmbH, KölnAndreas Krause, Datev eG, NürnbergProf. Dr. Thomas Langhoff, Prospektiv Gesellschaft für betriebliche Zukunftsgestaltungen mbH, DortmundFerdinand Leist, salus klinik FriedrichsdorfElke Nippold-Rothes, Deutsche Annington Immobilien GmbH, BochumAnke Palumbo, ipc – innovative prävention & coaching, Wuppertal und MünchenThomas Rauhe, Deutsche Annington Immobilien GmbH, BochumDr. Volker Weissinger, Fachverband Sucht e. V., BonnMarcel Temme, Prospektiv Gesellschaft für betriebliche Zukunftsgestaltungen mbH,Dortmund, danken wir für seinen Beitrag in Kapitel 4.5.1, Christoph Beyer,Landschaftsverband Rheinland, für seine Unterstützung bei den rechtlichen Fragen imKapitel 5 und Dr. Uwe Nickel, E.ON Energie AG, München, für sein Unternehmensbeispielin Kapitel 6.1Um das Lesen zu vereinfachen, wird nur die männliche Form bei Personengruppen, Positionen oderFunktionen verwendet, es sind immer Frauen und Männer gleichermaßen gemeint.Copyright DGFP e.V. - ISSN 1613-2785PraxisPapier 6 / 2011 - Seite 5

Mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern umgehen – ein Leitfaden Dr. Volker Weissinger brachte sich in das Gesamtlektorat ein, dafür danken wir ihm sehrherzlich!Katharina Grzymek, Studentin der Psychologie an der Heinrich-Heine-UniversitätDüsseldorf und Praktikantin im Bereich Forschung und Arbeitskreise der DGFP, dankenwir für ihre Unterstützung bei der inhaltlichen Überarbeitung des Manuskripts.Die DGFP hat im Januar 2011 ebenfalls eine Onlinebefragung zum Thema „PsychischeGesundheit bei Mitarbeitern“ unter DGFP-Mitgliedsunternehmen durchgeführt. Denausführlichen Ergebnisbericht dazu finden Sie unter www.dgfp.de/studien.Düsseldorf, im Juni 2011Copyright DGFP e.V. - ISSN 1613-2785PraxisPapier 6 / 2011 - Seite 6

Mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern umgehen – ein Leitfaden 1. Stress, Burn-out und Co. – psychischeBelastungen in der modernen Arbeit(Anke Palumbo, Volker Weissinger)2Angesichts der demografischen Entwicklung, dem damit verbundenen steigendenFachkräftemangel und einer längeren Lebensarbeitszeit ist das Thema „BetrieblichesGesundheitsmanagement“ von zunehmender Bedeutung für Unternehmen. Denngesundes Verhalten der Beschäftigten zu fördern und gesundheits- undmenschengerechte Arbeitsbedingungen zu gestalten, sind wichtige Voraussetzungen, umdie Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter langfristig zu erhalten. Eine wichtigeHerausforderung stellt in diesem Zusammenhang die psychische Gesundheit dar. Stress,Überforderung, Burn-out und Depression – diese Themen sind mittlerweileallgegenwärtig. Psychische Erkrankungen führen seit Jahren auch immer häufiger zurArbeitsunfähigkeit und sind mittlerweile eine ihrer Hauptursachen.Psychische Belastungen und deren Auswirkungen: Daten und FaktenDie Weltgesundheitsorganisation (WHO) prognostiziert, dass psychischeErkrankungen im Jahr 2030 weltweit die wichtigste Ursache von Krankheitslastendarstellen werden. Die AOK stellt fest, dass die Arbeitsunfähigkeitsfälle durchpsychische Erkrankungen im Zeitraum von 1995 bis 2008 je 100 AOK-Mitgliedervon 4,1 auf 7,7 zugenommen haben. Mit zunehmendem Alter steigt ferner die Zahlder Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen. Des Weiterenzeigen sich auch branchenspezifische Unterschiede. So lagen die AU-Fälleaufgrund psychischer Erkrankungen in der öffentlichen Verwaltung sowie imDienstleistungsbereich im Jahr 2008 bei 11,2 je 100 AOK-Mitglieder, bei Bankenund Versicherungen waren es 10,6 AU-Fälle, im Baugewerbe nur 5,2. Einenähnlichen generellen Anstieg zeigt die Analyse der DAK-Daten: Demnach habendie Krankheitsfälle von 1997 bis 2004 bei psychischen Erkrankungen um 170 %und die Krankheitstage um 169 % zugenommen. Aktuell liegt der Anteil ankrankheitsbedingten Fehltagen laut BARMER Gesundheitsreport 2009 mit 16,8 %an zweiter Stelle nach den Muskel-Skelett-Erkrankungen in Deutschland. Diedurchschnittliche Erkrankungsdauer pro Fall betrug bei psychischenErkrankungen laut BARMER 29,1 Tage und wurde nur von den Krebserkrankungennoch übertroffen. Bezogen auf die Erkrankungs- und Belastungssituation inUnternehmen sind neben den AU-Statistiken aber auch weitere Faktoren zubeachten, wie z. B. Unfallzahlen, Fluktuation und Präsentismus (krank zur Arbeit2Anke Palumbo ist betriebliche Gesundheitsmanagerin (Universität Bielefeld) und Inhaberin desBeratungsunternehmens ipc (innovative prävention & coaching). Sie beschäftigt mehr als 40 Trainerinnenund Trainer und berät Unternehmen im Hinblick auf den strategischen Aufbau und dieProzessdurchführung von betrieblichem Gesundheitsmanagement inkl. Analyse, Trainingsdurchführungund Evaluation. Frau Palumbo ist Demographieberaterin und zertifizierte Business- undKommunikationstrainerin, Trainerin für Suchtentwöhnung (IFT) und Stressmanagement. IhreArbeitssprachen sind Deutsch, Englisch und Französisch.Dr. phil. Volker Weissinger ist seit 1993 Geschäftsführer beim Fachverband Sucht e. V. (FVS), in dem ca.6.500 stationäre und viele ambulante und teilstationäre Behandlungsplätze für abhängigkeitskrankeMenschen in Deutschland vertreten sind. Zuvor war er in der stationären Suchttherapie und sieben Jahreim Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung tätig. Er ist mit gesundheitspolitischen,organisatorischen, konzeptionellen und inhaltlichen Aspekten der Themenbereiche „seelische Gesundheit“und „substanzbezogene Störungen“ befasst und ist für den FVS u. a. auch Mitglied im Nationalen Drogenund Suchtrat.Copyright DGFP e.V. - ISSN 1613-2785PraxisPapier 6 / 2011 - Seite 7

Mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern umgehen – ein Leitfaden gehen) (siehe auch Kapitel 2.2).Zunehmend rücken neben den psychischen Erkrankungen wie etwa Depressionen,Angststörungen sowie Suchtmittelkonsum und Abhängigkeitserkrankungen auch diekörperlichen Auswirkungen psychischer Belastungen ins Bewusstsein, etwa auf dieRückengesundheit und das Herz-Kreislauf-System. Angesichts der insgesamt erheblichenFolgen psychischer Belastungen überlegen immer mehr Unternehmen, wie sie diepsychische Gesundheit ihrer Beschäftigten fördern und erhalten können.Viele Untersuchungen zeigen zum einen, dass Arbeit einen wichtigen Faktor für dieGesundheit, das Wohlbefinden und die Lebensqualität darstellt. Andererseits können aberauch Belastungen in der Arbeitswelt mit erheblichem Stress verbunden sein, wennbeispielsweise Herausforderungen als permanente Überforderung erlebt werden.Sicherlich zeigen sich hinsichtlich des Stresserlebens deutliche Unterschiede zwischenMenschen. Auch individuelle Ressourcen, die soziale Einbindung und das persönlicheUmfeld spielen eine wichtige Rolle.Gleichwohl gibt es Hinweise darauf, dass psychische Belastungen in der Arbeitsweltinsgesamt deutlich zunehmen und diese für viele Beschäftigte nicht nur zum Arbeitsalltaggehören, sondern auch am Feierabend und am Wochenende noch nachwirken. Für dieseBelastungszunahme kann es viele Gründe geben, beispielsweise die dichtung,Personalabbau,zunehmendesArbeitstempo, Störungen in Ablaufprozessen, Leistungs- und Konkurrenzdruck,mangelnde Anerkennung und Wertschätzung. Aber auch die wirtschaftliche Situation, inder viele Unternehmen in einer globalisierten Welt heutzutage um ihr Überleben kämpfen,ist ein ernst zu nehmender Faktor für Gesundheit und Wohlbefinden jedes einzelnenMitglieds der Organisation.Gerade in einer Zeit, in der Unternehmen sich einer Vielzahl von Herausforderungenstellen müssen, sind motivierte und leistungsfähige Mitarbeiter wichtig. Für das Gelingeneiner Organisation, die Gestaltung des sozialen Klimas und die Förderung der psychischenGesundheit spielen die Unternehmens- und Führungskultur wie auch das konkreteFührungsverhalten eine entscheidende Rolle. Verschiedene Studien zeigen, wie wichtigaus Sicht der Arbeitnehmer beispielsweise Empathie, faires Verhalten, einwertschätzender Umgang, konsequentes Delegieren und Koordinieren fachlicherAufgaben vonseiten der Führungskräfte sind. Als Mensch wahrgenommen und geachtetzu werden – diese Anforderung spielt gerade auch dann eine Rolle, wenn es um diepsychische Gesundheit von Mitarbeitern geht.3Lässt man sich als Führungskraft auf das Thema „Psychische Gesundheit“ ein, so stellensich in diesem Zusammenhang vielfältige Fragen:3Führungskultur in einer Organisation bzw. das Führungsverhalten ihrer Führungskräfte spielen für dasGelingen einer Organisation eine große Rolle. Eine Onlineumfrage der Ruhr-Universität Bochum (2009) mit3.500 befragten Mitarbeitern belegte, dass nur 20 % mit ihren direkt vorgesetzten Führungskräftenzufrieden sind, 56 % unzufrieden, 23 % geben ihren Chefs sogar die schlechtmöglichste Bewertung (s.www.testentwicklung.de/studie bif.htm). Die Zufriedenheit mit der Führungskraft hängt lt. den bisherigenBefragungsergebnissen insbesondere von gegenseitigem Vertrauen zwischen Führungskraft undMitarbeitern, Empathie der Führungskraft für die aktuelle Stimmung und Fragestellungen im Team, vonwertschätzendem und konsequentem Delegieren, Koordinieren und Organisieren fachlicher Aufgabensowie von fairem Verhalten der Führungskraft gegenüber ihren Mitarbeitern ab. Die INQA-Studie (s.www.inqa.de) zeigt, dass soziale Anteile eine sehr wichtige Rolle spielen, wenn es um Anforderungen angute Arbeit aus der Sicht von Arbeitnehmern geht. Für 85 % der ca. 5.000 befragten Teilnehmer ist z. B.die Aussage „von den Vorgesetzten in erster Linie als Mensch wahrgenommen und geachtet – und nichtlediglich als Arbeitskraft betrachtet zu werden" ein essenzieller Motivator zur Weiterführung ihrerTätigkeit.Copyright DGFP e.V. - ISSN 1613-2785PraxisPapier 6 / 2011 - Seite 8

Mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern umgehen – ein Leitfaden Wie verbreitet sind psychische Belastungen im eigenen Unternehmen?Welche gesetzlichen Aufgaben, welche grundsätzlichen Handlungsmöglichkeiten undGrenzen bestehen für Unternehmen im Umgang mit psychischen Belastungen?Wie lässt sich das Thema „Psychische Gesundheit“ in das Unternehmen organisatorischeinbetten?Welche Aufgaben habe ich als Führungskraft dabei?Wie spreche ich entsprechende Mitarbeiter an? Worauf ist bei den Gesprächenbesonders zu achten?Wie kann ich im Einzelfall verfahren?Welche weiteren Unterstützungs- und Behandlungsangebote gibt es?Diese und weitere Fragen werden in diesem Leitfaden behandelt. Die DeutscheGesellschaft für Personalführung e. V. möchte Führungskräfte mit diesem Leitfaden ren,betrieblicheUmsetzungsmöglichkeiten aufzeigen und Führungskräfte in die Lage versetzen,entsprechende Gespräche mit Mitarbeitern zu dieser schwierigen Thematik zu führen.Unterstützt hat die DGFP hierbei ein Expertenkreis, dessen Mitglieder unterschiedlichenProfessionen und Organisationen angehören.Copyright DGFP e.V. - ISSN 1613-2785PraxisPapier 6 / 2011 - Seite 9

Mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern umgehen – ein Leitfaden 2. Psychische Belastungen und psychischeBeanspruchungen2.1Belastungen sind nicht gleich Beanspruchungen(Christel Hoyer)Belastung wird laut DIN EN ISO 10075-1 definiert als „Gesamtheit aller erfassbarenEinflüsse, die von außen auf die Menschen zukommen und psychisch auf sie einwirken".Was sind nun psychische Belastungen? Es liegt nahe, alle Belastungen, die das Denken,Fühlen und Verhalten des Menschen von außen beeinflussen, als solche zu identifizieren.So kann beispielsweise die Intensität der erforderlichen Konzentration, die ein Mensch zurBewältigung einer Aufgabe benötigt, leicht als psychische Belastung identifiziert werden.Gleichwohl können aber auch körperliche Belastungen das Denken, Fühlen und Verhaltenbeeinflussen; so kann eine vorgegebene Stückzahl in der Produktion Gefühle wieZufriedenheit, Mut oder auch Hoffnungslosigkeit erzeugen. Das bedeutet, dass alleBelastungen, die auf den Menschen wirken, als psychische Belastungen gewertet werdenkönnen.Belastungen des betrieblichen Umfelds können in der Tätigkeit, der physikalischenArbeitsumgebung und der Arbeitsorganisation liegen, aber auch in den sozialenKontakten oder weiteren Aspekten wie der wahrgenommenen Gerechtigkeit vonAufwand und Entlohnung.Belastungen können auch dem privaten Umfeld entspringen. Das sozioökonomischeUmfeld spielt – neben dem Beruf – ebenso eine wesentliche Rolle beim Zustandekommenvon Denken, Fühlen und Verhalten einer Person. Von zentraler Bedeutung sind auch hierdie sozialen Kontakte und die persönliche Einbindung. Zudem sollten der ökonomischeStatus und die Herausforderungen, die im privaten Umfeld auftreten, entsprechendberücksichtigt werden, will man die Gesamtsituation einer Person beschreiben.Beanspruchung bezeichnet die unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung aufdas Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden derindividuellenBewältigungsstrategien.Der Definition entsprechend sind Belastungen, entgegen dem umgangssprachlichenGebrauch, wertneutral zu verstehen. Im Wechselspiel mit den Fähigkeiten undMöglichkeiten des Menschen, mit diesen Belastungen umzugehen, entsteht dieBeanspruchung. Vor diesem Hintergrund ist zu bewerten, ob die „Last“ zu schwer(Fehlbeanspruchung), fordernd, passend oder zu leicht (Unterforderung) ist.Um die Wechselwirkung zwischen Individuum und Belastung zu bestimmen, ist es nötig,das Erleben des Mitarbeiters hinsichtlich seiner Arbeitssituation und seine Arbeitssituationselbst zu analysieren. Indikatoren für psychische Belastungen im Arbeitsleben – hier imSinne psychisch belastender Situationsvariablen verstanden – sind vor allemwahrnehmbare Gegebenheiten und Veränderungen in der Arbeitssituation einesMitarbeiters. Die damit verbundene potenzielle Beanspruchung hängt ab von der Dauerhaftigkeit, mit der eine Belastung die Arbeitssituation prägt, von der wahrgenommenen Intensität der Belastung, vom Verlauf der Inanspruchnahme durch diese Belastungen.Copyright DGFP e.V. - ISSN 1613-2785PraxisPapier 6 / 2011 - Seite 10

Mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern umgehen – ein Leitfaden Kritische Situationen können zum Beispiel im Rahmen von Gefährdungsanalysen zurpsychischen Belastung identifiziert werden. (Früh-)Indikatoren für psychischeBelastungen mit Risikopotenzial sind beispielsweise: ineffektive Vertretungsregeln, Anforderungs-/ Fähigkeitsdisbalance, Arbeitsorganisation mit permanentem Zeitdruck, dunkle, hemmende Arbeitsumgebung, ergonomisch inadäquate Arbeitsmittel, Aufgaben mit Multitasking-Anforderung, unfreundliche Arbeitsatmosphäre, keine geregelten Pausen, Projektarbeit unter permanentem Erfolgs- und Zeitdruck.Im folgenden Abschnitt sind die Faktoren beschrieben, die Einfluss auf das Erlebennehmen. Wie der Mitarbeiter mit den Belastungen umgeht, hängt zu guter Letzt eben vonseinem Erleben der Situation, seiner Persönlichkeit (als relativ stabile Personenvariablen),von seinen Erfahrungen und Ressourcen, seiner Einstellung wie auch seiner körperlichenund seelischen Konstitution ab. Zur ersten Einschätzung der individuellen Beanspruchungeines Mitarbeiters können die folgenden Fragen dienen: Welches Wissen und welche Fähigkeiten hat der Mitarbeiter, um den Belastungen zubegegnen? Welche Erfahrung hat der Mitarbeiter im Umgang mit aktuellen Veränderungen imUnternehmen, im Umgang mit den derzeitigen Belastungen speziell? Wie gerne setzt sich der Mitarbeiter mit der Situation bzw. den derzeitigenHerausforderungen auseinander (Anspruchsniveau, Motivation)? Wie viel Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die Belastung zu bewältigen, hat er? Welche Möglichkeiten hat der Mitarbeiter, Einfluss auf die Arbeitssituationen zunehmen, sie mitzugestalten? Welche Möglichkeiten bestehen für den Mitarbeiter, mit der Belastung umzugehen?Beanspruchung kann – je nach Belastung und individueller Voraussetzung – positive odernegative Ausprägungen haben:Im günstigen Fall (passend oder fordernd) wird das Individuum angeregt und aktiviert –eine gute Voraussetzung, die Aufgabe zu bewältigen, an ihr zu wachsen und zu lernen,auch künftige Anforderungen zu bewältigen. Langfristige Beanspruchungsfolgen könnendann Lernen, Erfolg, Übung, Weiterentwicklung körperlicher und geistiger Fähigkeiten,Wohlbefinden oder Gesundheitsförderung sein.Im ungünstigen Fall empfindet der Mensch Beeinträchtigungen wie Stress, Ermüdung,Langeweile oder Resignation. Nachteilige langfristige Beanspruchungsfolgen können sichniederschlagen in allgemeinen psychosomatischen Störungen und Erkrankungen (u. zen),psychischenErkrankungen, Ausgebranntsein (Burn-out), Fehlzeiten, Fluktuation und Frühverrentung.Das folgende Schaubild fasst die dargestellten Aspekte des Belastungs-BeanspruchungsModells zusammen. Noch ausführlicher werden dieses Modell und die DIN EN ISO 10075-1im Anhang (Kapitel 8.1) vorgestellt.Copyright DGFP e.V. - ISSN 1613-2785PraxisPapier 6 / 2011 - Seite 11

Mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern umgehen – ein Leitfaden Person: individuelleVoraussetzungen Einstellung Persönlichkeit Fähigkeiten Belastbarkeit Entspannungsfähigkeit Gesundheitszustand SonstigesBelastungen der Arbeit Tätigkeit Arbeitsumgebung Arbeitsorganisation Beziehungen zuKollegen/Führung SonstigesBelastungen dessozialen Umfelds soziale Beziehungen familiäre Situation Wohnsituation tressPsychischeSättigunglangfristige Folgen (u.a.)GesunderhaltungAbb. 1:2.2WeiterentwicklungWohlbefindenallg. nspruchungs-Modell4Psychische Belastungen und psychische Erkrankungen(Thomas Langhoff)Im letzten Jahrzehnt haben psychische Belastungen stark zugenommen. Mehr als dieHälfte aller Beschäftigten ist nach eigenen Angaben in unterschiedlicher Ausprägung vonpsychischen Belastungen betroffen. Verursacht werden sie durch hohen Zeitdruck, hoheVerantwortung, Überforderung durch die Arbeitsmenge, Umstrukturierungs- bzw.Neuorganisationsmaßnahmen, Vorschriften, Kontrolle, mangelnde Handlungsspielräume,mangelnde Informationen, Ärger und Konflikte mit Kunden. Sieben der zehn meistgenannten Belastungen sind psychischer Natur (LIGA.NRW, 2009). Als besondersbelastend werden einer Befragung von 30.000 Arbeitnehmern zufolge Hektik,Termindruck, große Arbeitsmengen, eine ständig geforderte hohe Konzentration undständige Unterbrechungen eingeschätzt (Heyde & Macco, 2010). Hinzu kommenPhänomene, die nicht direkt im Arbeitssystem zu verorten sind, sich aber auf Arbeit undGesundheit auswirken, wie ständige Arbeitsplatzunsicherheit, Zukunfts- undVersagensängste, unsichere Beschäftigungsverhältnisse (BKK Bundesverband, 2009).Zeitarbeitskräfte sind zum Beispiel solchen o. g. hochgradigen psychischen Belastungenausgesetzt. Als Hauptdiagnosegruppe für ihre Fehlzeiten wurden psychischeErkrankungen ermittelt und nicht Muskel-Skelett-Erkrankungen, wie man vielleichtaufgrund der ausgeführten Tätigkeiten erwartet hätte (BMAS und BAuA, 2008).4In Anlehnung an s-Beanspruchungs-Modell.pdf? blob publicationFile&v 3(Stand 02.05.2011).Copyright DGFP e.V. - ISSN 1613-2785PraxisPapier 6 / 2011 - Seite 12

Mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern umgehen – ein Leitfaden Abb. 2:Anteil psychischer Erkrankungen an allen AU-Tagen (Werte verschiedenerKrankenkassen)5„Unregelmäßige und vorübergehende Belastungen lassen sich aushalten. Problematischwird dies auf Dauer“, warnt der Verband der Betriebs- und Werksärzte vor chronischenKrankheiten durch dauerhafte psychische Belastung. Schafft der Beschäftigte es nicht,sich zu erholen und abzuschalten, kann es zu Gefühlen von Erschöpfung, Gereiztheit,Kopfschmerz und innerer Unruhe kommen, was sich langfristig in psychischen undpsychosomatischen Erkrankungen niederschlägt (IG Metall & VDBW, 2009). Beschäftigte,die erhöhten psychischen Belastungen (sowohl was Tätigkeitsmerkmale als auchLeistungsverhalten angeht) ausgesetzt sind, erkranken etwa doppelt so oft psychisch wieErwerbstätige ohne entsprechende Belastungen. Das zeigen Studien zum Zusammenhangzwischen psychischen Belastungen bei der Arbeit und psychischen Erkrankungen(Siegrist, Dragano & Wahrendorf, 2010).Insgesamt wächst die Zahl der durch psychische Erkrankungen bedingten Arbeitsunfähigkeitstage seit Jahren kontinuierlich. Bereits seit 10 Jahren lässt sich ein ununterbrochenerAnstieg an Krankheitstagen mit dieser Diagnose verzeichnen (siehe Abb. 1). Allein indiesem Zeitraum nahm die psychisch verursachte Arbeitsunfähigkeit bei Männern um42 % und bei Frauen sogar um 63 % zu. V

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