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Umgang mit traumatisierten KindernHinweis: Es wird hier bewusst auf Fachbegriffe verzichtet. Stattdessen wird versucht dieThematik für Sie als Laien verständlich darzustellen, damit Sie in Ihrer Arbeit mit Kindernnach Kriegs- und Fluchterfahrung handlungsfähiger werden (nach dem Motto “was mussman vom Auto wissen, um zu fahren“)Inhalt1.Etwas Theorie über Trauma2.Erfahrungshintergrund der Kinder mit Kriegs- und Fluchterfahrung3.Lebensalltag von geflüchteten Kindern heute4.Welche Symptome können die traumatische bedingte Angst / das Trauma beiden Kindern auslösen?5.Wie hole ich Kinder aus dem „traumatischen Wiedererleben“ heraus?6.Wie kann ich diese Kinder stabilisieren und unterstützen?Was ist eigentlich ein Trauma?Versuch einer Definition: Eine überwältigende, lebensbedrohliche, furchtbare und ängstigende Erfahrung, die außerhalb der „normalen“ Lebenserfahrung liegt. Mit dem Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins und des Kontrollverlustes verbunden. Mit enormen seelischen und / oder körperlichen Schmerzen verbunden. Etwas das von unserem Gehirn teilweise von der Erinnerung abgespalten oder ganz verdrängt wird.Was ein Mensch als traumatisch erlebt, ist auch von der subjektiven Wahrnehmung abhängig. Für ein Kind kann es z.B. traumatisch sein, wenn es nur denkt die Eltern seien im eingestürzten Haus ums Leben gekommen, auch wenn es die Eltern nach einigen Stunden wie-dersieht.Traumatypen – mögliche EinteilungenKurz dauernd, einmaligversuslanganhaltend, mehrfach sich wiederholendoder auchSchicksalhaft, zufälligversus:durch Menschen verursacht kollektives Trauma (Krieg).Dr.med. Birgit Kracke; Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie; Solingen1

Die drei pathogensten (schlimmsten) Traumen:1. Kriegsteilnahme (nicht nach SoldatIn oder ZivilistIn unterschieden)2. Vergewaltigung3. Körperliche und seelische Gewalt und sexueller Missbrauch in der KindheitMit 1 und 2 haben Sie bei Kindern, die Krieg und Flucht überstanden haben, zu tun!!(Kinder mit Erfahrungen im 3. Punkt kennen Sie vermutlich sowieso )Typische Lebenseinstellung NICHT-traumatisierter Kinder:Hat die Überzeugung „unverletzlich“ zu seinNimmt die Welt als bedeutungsvoll, verständlich und kontrollierbar wahr.Sieht sich Selber als positiv und wertvollTypische Lebenseinstellung traumatisierter Kinder:o Sieht sich selber als verletzt und zukünftig verletzbaro Sieht die Welt als feindlich, unverständlich und unkontrollierbar ano Sieht Sich selber als beschädigt und wertlosWas passiert im Gehirn bei einer traumatischen Erfahrung?Ein normales Ereignis wird im „normalen“ Gedächtnisspeicher abgelegt. Man kann es dannselbst zeitlich einordnen und als zu sich selbst zugehörig. Es kann erzählt werden, Gefühleund Gedanken können dabei wieder aktiviert werden („Dort und damals geschah mir das unddas ich dachte Folgendes und fühlte dabei “)Ein traumatisches Erlebnis überflutet die normale Stressverarbeitung („Sicherung“ schaltetab), die Erinnerung an das Trauma wird aufgespalten in verschiedenen Hirnarealen abgelagert, die Erinnerung ist nicht zeitlich eingebunden, es existiert eine Blockade zum Sprachzentrum. Erinnerungsfragmente können leicht „angestoßen“ und von der Person als jetzt realwieder erlebt werden (einzelne Gerüche, Gefühle etc.). Manchmal erleben Traumatisierte dieschlimmen Erinnerungen als Film wieder (Flashback), als würden sie ‚Jetzt und Hier‘ wiedergeschehen (So, als wenn man nachts einen Albtraum erlebt).Unter Stress ist unsere Großhirnfunktion durch den Einfluss der Stresshormone starkeingeschränkt (Gedächtnis, Lernen etc.) Das war sinnvoll in früheren Stadien der menschlichen Entwicklung um schnell auf die damaligen Gefahren reagieren zu können (KörperlichReaktionen wie Fliehen und Kämpfen standen anfänglich im Vordergrund z. B Kampf umNahrung, Flucht vor den Bären).Dr.med. Birgit Kracke; Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie; Solingen2

Verschiedene Stadien der Traumaphysiologie1.Flucht oder Kampf Kreislauffunktionen und Stresshormone etc. „laufen auf Hochtouren“2.Erstarren (Freeze), der sogenannte Totstellreflex, um so eventuell doch noch eineChance der Flucht zu bekommen3.Unterwerfung (Submit) „inneres Aufgeben“,Körperfunktionen, Kreislauf etc. „fahren herunter“Hinweis: Einzelne Elemente dieser Traumastadien können sich im Verhalten der Kinderheute zeigen (z.B. körperliche Anspannung, Aggression, Verlangsamung, emotionale oderkörperliche Erstarrung, „weggetreten“ sein). Je gefestigter ein Mensch (reifer / erwachsener die Persönlichkeit) ist, desto eher hater die Chance, schlimme Erfahrungen besser einzuordnen und zu verkraften – daraus folgt:Kinder haben es besonders schwer.Erfahrungshintergrund von Kindern mit Kriegs- und Fluchterfahrung Bedrohung, Körperliche Gewalterfahrung, Folter, Schmerz, Angst Im familiärem Umkreis, oder Bedrohungen durch Täteroder im poli-tisch/religiösem Umfeld im Herkunftsland oder bei uns Sexuelle Gewalt (Vergewaltigung), Zwangsprostitution Vertreibung, FluchtIn Krieg- oder Krisengebieten leben, Miterleben/ Schilderungen („Sek. Traumatisierung“)von Bombenangriffen, Kämpfen, Gewalt, mitansehen wie Menschen grausam sterben Gewaltsamer Tod von Eltern, Geschwistern, Freunden Selbst (freiwillig oder gezwungen) TäterIn (Kindersoldaten) gewesen zu sein Häufiger Umgebungswechsel / Beziehungsabbrüche (auch hier bei uns) Verloren gehen, allein zurückgelassen werden, nicht wissen wie es weitergeht Verlust von Sicherheit, Armut, Hunger, Durst, Kälte, Krankheit, Naturkatastrophen, Verrohung Ohnmacht, als einer der wichtigsten Entstehungsfaktoren für eine Traumatisierung Schuld-oder Schamgefühle bezgl. bedrohlicher Erlebnisse, auch wenn das Kind es völligunschuldig ist („wenn ich nicht spielen gewesen wäre, hätte mein Vater mich nicht imKeller gesucht, als eine Bombe auf das Haus fiel “Dr.med. Birgit Kracke; Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie; Solingen3

Lebensalltag der geflüchteten Kinder heute auf ‚Überleben‘ programmiert – (Gefühle müssen unterdrückt werden) möglicherweisewie Roboter funktionieren, apathisch wirken oder eben genau das Gegenteil: sie können sich nicht steuern oder kontrollieren explodieren leicht, sind dünnhäutig, leicht ablenkbar, weinen rasch Stress und Traumatisierung können Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen zur Folgehaben (die Kinder „begreifen“ nicht, vergessen was schon erklärt wurde, kommen nichtpünktlich zur Schule. GEDULDIG SEIN!!! Sie fühlen sich hier noch nicht in Sicherheit (Zuverlässige Bezugspersonen / Kontinuität sind wichtig!!) Keine Rückzugsmöglichkeit, oft massive räumliche Enge Misstrauen Angst vor dem Fremden ( Feind?) Gefürchtete/erlebte Fremdenfeindlichkeit in Deutschland). In der Heimat waren Polizei und Behörden oft Täter Die Kinder verstehen die Sprache nicht Werden ausgelacht wegen Sprache oder ihres Verhaltens Der Schulweg allein (Trennung von der Familie) kann starke Ängste auslösen Schlechter Schlaf in Gemeinschaftsräumen (z. B.: man hört die Anderen schreien, weilsie Albträume haben) Weiterhin bestehende Angst – evtl. um die Familienmitglieder (Eltern, Geschwister in derHeimat) Trauerprozess wegen des Verlustes von Angehörigen (und eigentlich allem was die gewohnte Welt war) Eventuell hohe Verantwortung (auch schon bei kleinen Kindern) – „Ich muss es schaffen, hier zu bleiben, damit meine Familie zu Hause versorgt ist oder nachziehen darf! Kinder und Frauen haben es in den Heimen deutlich schwerer. Es geschehen sehr häufig sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen in den Heimen. Es gibt häufig keine abschließbaren oder getrennten Duschen oder Toiletten. Die Frauen und Kinder müssenoft mit fremden Männern im selben Zimmer schlafen. Häufig werden die Kinder unter diesen Bedingungen weiter traumatisiert oder immerwieder von den erlebten traumatischen Erinnerungen überflutet. Die Eltern sind traumatisiert und können ihre Elternfunktion nicht richtig übernehmen,bieten keinen „sicheren Hafen“ (Gefahr der Vernachlässigung!!), was die Kinder stresstund ängstigt. (Die Eltern verhalten sich depressiv oder apathisch, zeigen selber Aggressionsausbrüche, die sie nicht steuern können. Als Reaktion darauf können die Kinderaggressiv werden (häufig die Jungen) oder „überkompensieren (häufig die Mädchen)angepasst oder sehr lebenslustig wirken, um die Eltern zu stützen und zu entlasten.Dr.med. Birgit Kracke; Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie; Solingen4

Fazit: Die Kinder, die Krieg und Flucht überstanden haben, sind möglicherweise traumatisiert, jedoch sicherlich weiterhin in einer Ausnahmesituation, die sie massiv fordert und häufig überfordert und in jedem Fall verunsichert und oft stark ängstigt!!!Welche Symptome kann die traumatische bedingte Angst – dasTrauma bei den Kindern auslösen? Weinen, Schreien, Zittern auch ohne jeden aktuellen Grund Überempfindlichkeit gegenüber etwas Neuem oder normalen Anforderungen Einnässen, Zähneknirschen, Nägel beißen, Selbstverletzung, Aggression gegenandere Menschen ohne aktuellen Grund Müdigkeit, Passivität, Rückzug, Erstarrung, Schüchternheit Ängstlichkeit, Schlafstörungen, Konzentrationsunfähigkeit Ständige Wiederholung bestimmter Bewegungen (Abwehrbewegungen, Drehen, Trommeln mit den Händen oder Füßen, Waschen, ) Z.B. als Teilhandlung aus der ursprünglich traumatisch erlebten Szene oder als Selbstberuhigung Schreckliche Phantasien oder Träume Flashbacks (szenisches Wiedererleben eines traumaischen Ereignisses) werden z.B.durch bestimmte Geräusche (als Trigger) ausgelöst. (z.B. ein Kind wirft sich unter seinenSchultisch, weil draußen ein Flugzeug vorbeifliegt und es mit einem Bombenangriff rechnet. Es schreit, weint und tritt und braucht sehr viel Zuspruch bis es wieder im „hier undjetzt“ ansprechbar ist und sich wieder in Sicherheit fühlt und weiß. Mögliche Triggersituationen z.B. in der Schule: enger lauter Aufstellplatz, überfüllte Schulflure, Enge an derGarderobe, emotional aufgeheizte Situationen z. B beim Sport, Schulhof, Streitigkeiten.Fazit: Alle Arten von Stress- und Angstreaktionen, plötzliche Verhaltensänderungen, zu vieloder zu wenig Aktivität, seltsame Verhalten, auch Tage, Wochen und Monate nach demschrecklichen Erlebnis, können auf eine Traumatisierung (auch bei einheimischen Kindern,die z.B. häusliche / sexuelle Gewalt erleben) hinweisen.Hinweis: Wenn Sie solche Reaktionen bei geflüchteten Kindern beobachten, informieren siedie Eltern und organisieren Sie Hilfe, wann immer es möglich ist. Je früher, desto besser.Aber es kann auch Jahre später noch hilfreich sein. Diese Eltern sind selber oft nicht in derLage, die notwendigen Schritte für ihr Kind zu tun, entweder weil sie selber überfordert sindoder das Hilfesystem nicht kennen. Vermuten Sie jedoch häusliche/sexuelle Gewalt, informieren Sie das Jugendamt, nach Absprache mit Ihren Vorgesetzten (als Rückendeckung fürSie!)Dr.med. Birgit Kracke; Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie; Solingen5

Wie hole ich Kinder aus dem traumatischen Wiedererleben heraus,zurück in die Realität?Hinweis: Auch wenn man noch so engagiert ist, den Kindern maximale Unterstützung undHilfe bieten möchte, ist es doch extrem wichtig, sich bewusst zu machen, in welchem Rahmen man mit den Kindern zu tun hat. Z.B. Schule ist kein Raum für Therapie! (Traumatherapie braucht einen sicheren Rahmen, Zeit und speziell geschulte TherapeutInnen.) Bei Auftreten von akuten Traumasymptomen sind Sie wie bei einem Autounfall ein Notfallhelfer, derdie Aufgabe hat das Kind aus der (inneren) Gefahrensituation herauszuholen und (in derGegenwart) in Sicherheit zu bringen.Flashbacks sind für das Kind innere Notfallsituationen!!Nicht: alleinlassen oder nachfragen, was es denn gerade erlebt hat (gibt den „schlimmen“Bildern und Gefühlen die Möglichkeit aktiv zu bleiben oder wieder aktiv zu werden und führtabermals zu Ohmachtsgefühlen. Das Kind erlebt erneut einen Kontrollverlust fühlt sich handlungsunfähig und wird damit vielleicht retraumatisiert)Konkrete Tipps1.„LOT“: Lagewechsel – Ortswechsel – Themenwechsel (durch verschiedene Reize /Anforderungen auf den Körper und das Gehirn von außen ist es für das Gehirn leichtermöglich, das emotionale Erleben wieder „herunterzuregeln“ und das logische Denkenund funktionieren im aktuellen Alltag wieder in den Vordergrund zu bringen. (Sofern dasKind sitzt ihm helfen sich hinzustellen, dann den Ort der Auslösesitutation verlassen undversuchen die Aufmerksamkeit des Kindes auf andere Dinge zu lenken, die nicht angsteinflößend sind)2.Beim Namen ansprechen (sofern bekannt). (Nicht einfach anfassen!!)3.Herausnehmen aus der Auslösesituation!!!4.Beruhigende Stimme5.Sicherheit vermitteln6.Bewegung initiieren (lenkt die Gehirnaktivität um)7.Etwas zu trinken anbieten (lenkt die Gehirnaktivität um)8.Tresorübung (je nach Alter und Sprachkenntnis abgewandelt)9.Anschließend durch Beschäftigung ablenkenDr.med. Birgit Kracke; Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie; Solingen6

Wie kann ich diese Kinder stabilisieren und unterstützen?(Wichtig: Der „GUTEN“ Grund für jedes Verhalten suchen, um zu verstehen!)Für das Kind verlässlich sein: Dem Kind das Gefühl geben angenommen zu werden, auch wenn es „komische“ Verhaltensweisen zeigt. Wenn Schlimmes erinnert wird, erzählen lassen, ruhig zuhören, Anteilnahme zeigen(aber nicht aktiv nach Details fragen!) aber eventuell auch behutsam ablenken, jenach eigenen Möglichkeiten (habe ich Zeit und Raum dafür, habe ich gerade selber ausreichend innere Stabilität?) Gelassenheit, Sicherheit ausstrahlen Freundlichkeit, Lächeln, Emotional berechenbar sein, eigene emotionale Spitzen zurücknehmen konsequent ( verlässlich) sein, (was ich sage setzte ich möglichst um) Hilfe geben, beruhigen, wenn das Kind Angst zeigt Kontinuität der Bezugspersonen, der Räumlichkeiten, der Wege AlltagsstrukturUND: Das Gefühl von Kontrolle und Wahlmöglichkeiten geben Erfolgserlebnisse vermitteln Sport/ Bewegung zum Stressabbau Ablenkung (Mandalas malen, Kreativität zulassen und fördern) Möglichkeiten schaffen positive (innere) Gegenbilder zu bildenDr.med. Birgit Kracke; Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie; Solingen7

ßerhalb der „normalen“ Lebenserfahrung liegt. Mit dem Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins und des Kontrollverlustes ver-bunden. Mit enormen seelischen und / oder körperlichen Schmerzen verbunden. Etwas das von unserem Gehirn teilweise von der