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BDAktuell Nr. 1Rainer Huke / Thomas PrinzDas BetriebsverfassungsgesetzPraxisbezogene Erläuterung und vollständigeTextausgabe inklusive Wahlordnung11. Auflage
BDAktuell Nr. 1Rainer Huke / Thomas PrinzDas BetriebsverfassungsgesetzPraxisbezogene Erläuterung und vollständige Textausgabe inklusive Wahlordnung11. Auflage / Stand: September 2013
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.Reihe BDAktuell Nr. 1Das BetriebsverfassungsgesetzPraxisbezogene Erläuterung und vollständige Textausgabeinklusive Wahlordnung11. Auflage / Stand: September 2013von Rainer Huke und Thomas PrinzHerausgegeben von:BDA DIE ARBEITGEBERBundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, BerlinVerlag: GDA KOMMUNIKATIONGesellschaft für Marketing und Serviceder Deutschen Arbeitgeber mbHBreite Straße 29, 10178 Berlinwww.gda-kommunikation.deAlle Rechte vorbehaltenPrinted in GermanyISBN 978-3-936074-82-6
VorwortDie betriebliche Mitbestimmung ist ganz überwiegend geprägtdurch ein Verhältnis der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Das Betriebsverfassungsgesetz regelt das Verhältnis der Betriebsparteien. WesentlicherNachteil des Betriebsverfassungsgesetzes sind seine zum Teilunflexiblen und bürokratischen Vorschriften, die den Bedürfnissen der Praxis nicht immer in vollem Umfang entsprechen. Diesändert nichts daran, dass die Vorschriften sorgfältig zu beachtensind. Anderenfalls kann beispielsweise die nicht ordnungsgemäßeAnhörung des Betriebsrats zur Unwirksamkeit der Kündigung führen oder es ist dem Arbeitgeber die Anordnung von Überstundenverwehrt, weil er den Betriebsrat nicht beteiligt hat.Es bedarf auf beiden Seiten der Betriebspartner – sowohl beimArbeitgeber als auch beim Betriebsrat – der Kenntnis des Betriebsverfassungsrechts. Dazu gehört natürlich an erster Stelle derGesetzestext. Zu diesem Zweck wurde die Textausgabe zum Betriebsverfassungsgesetz, auch im Hinblick auf die neu gewähltenBetriebsräte, auf den aktuellen Stand gebracht. Dem Gesetzestextvorangestellt ist eine praxisbezogene Erläuterung des Betriebsverfassungsrechts. Damit werden zwar nicht alle Punkte der betrieblichen Mitbestimmung bis in die kleinste Verästelung behandelt. Es wird aber ein Überblick gegeben über die Organisationdes Betriebsrats und die gesetzlichen Beteiligungsrechte. AktuelleEntwicklungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung werdendabei berücksichtigt und Tipps für die betriebliche Praxis gegeben.Der Vollständigkeit halber wurde die Betriebsverfassung um dieWahlordnung ergänzt.Die vorliegende Broschüre ist damit ein wichtiges Hilfsmittel für diebetriebliche Praxis.Rainer HukeThomas PrinzSeptember 2013 Berlin
INHALTSVERZEICHNISTeil 1 Erläuterung zumBetriebsverfassungsrecht . 7A. Einleitung. 7I.II.Arbeitnehmerbeteiligung . 7Das Betriebsverfassungsgesetz . 71. Die Entstehung . 82. Der Aufbau des Betriebsverfassungsgesetzes . 8B. Voraussetzungen für die Bildungeines Betriebsrats . 9I.Betrieb . 91. Gemeinsamer Betrieb . 122. Vereinbarte Organisationsstrukturen, § 3 BetrVG . 133. Betriebsteile, Kleinstbetriebe, § 4 BetrVG . 164. Streitigkeiten . 17II. Wahlberechtigte Arbeitnehmer . 181. Arbeitnehmer, § 5 Abs. 1 BetrVG . 182. Leitende Angestellte, § 5 Abs. 3 BetrVG. 21III. Regelbeschäftigung . 23IV. Mindestzahl der wählbaren Arbeitnehmer . 24C. Der Betriebsrat . 24I. Größe . 24II. Zusammensetzung . 261. Berücksichtigung der Organisationsbereicheund B eschäftigungsarten . 262. Berücksichtigung des Geschlechts in derMinderheit . 26III. Wahl des Betriebsrats . 281. Zeitpunkt der Betriebsratswahlen . 282. Wahlrecht und Wählbarkeit . 293. Wahlverfahren . 29IV. Amtszeit des Betriebsrats und Mitgliedschaftim Betriebsrat . 30
V. Geschäftsführung des Betriebsrats. 31VI. Stellung der Betriebsratsmitglieder . 32D. Weitere Organe der Betriebsverfassung . 33I. Der Gesamtbetriebsrat, §§ 47 bis 53 BetrVG . 33II. Der Konzernbetriebsrat, §§ 54 bis 59a BetrVG . 34III. Die Jugend- und Auszubildendenvertretung,§§ 60 bis 71 BetrVG . 35IV. Die Einigungsstelle, §§ 76, 76a BetrVG . 36V. Der Wirtschaftsausschuss, §§ 106 bis 110 BetrVG . 37VI. Die Betriebsversammlung, §§ 42 bis 46 BetrVG . 38E. Die Mitwirkung und Mitbestimmungder Arbeitnehmer . 39I.II.Grundsätze der Zusammenarbeit . 39Die Betriebsvereinbarung, § 77 BetrVG . 431. Abschluss und Geltungsbereich der Betriebs vereinbarung, § 77 Abs. 2 BetrVG . 432. Inhalt und Grenzen der Betriebsautonomie . 453. Das Verhältnis von Betriebsvereinbarungzu Gesetz, Tarif- und Arbeitsvertrag . 454. Zeitliche Geltung von Betriebsvereinbarungen . 46III. Umfang der Betriebsratsbeteiligung . 471. Mitwirkungsrechte . 472. Mitbestimmungsrechte . 48IV. Allgemeine Aufgaben des Betriebsrats, § 80 BetrVG . 49V. Gegenstand der Beteiligung . 501. Soziale Angelegenheiten, §§ 87 bis 91 BetrVG . 50a. Gesetzes- und Tarifvorrang,§ 87 Abs. 1 Satz 1 BetrVG . 51b. Soziale Angelegenheiten, § 87 Abs. 1 BetrVG . 52c. Mitwirkung bei freiwilligen sozialenAngelegenheiten, § 88 BetrVG . 55d. Gestaltung von Arbeitsplatz, Arbeitsablaufund Arbeitsumgebung, §§ 90, 91 BetrVG . 56
2. Personelle Angelegenheiten, §§ 92 bis 102 BetrVG . 57a. Personalplanung, § 92 BetrVG . 57b. Beschäftigungssicherung, § 92a BetrVG . 57c. Innerbetriebliche Stellenausschreibung,§ 93 BetrVG . 58d. Personalfragebögen und Beurteilungs grundsätze, §§ 94, 95 BetrVG . 58e. Einstellung, Versetzung, Ein- undUmgruppierung, §§ 99 bis 101 BetrVG . 60f. B eteiligung des Betriebsrats bei Kündigungen,§§ 102 bis 104 BetrVG . 63(1) Kündigung, § 102 BetrVG . 63(2) Kündigung von Mitgliedern desBetriebsrats, § 103 BetrVG . 65g. Berufsbildung, §§ 92, 96 bis 98 BetrVG . 663. Wirtschaftliche Angelegenheiten,§§ 106 bis 113 BetrVG . 69a. Die Betriebsänderung, §§ 111 ff. BetrVG . 70b. Der Interessenausgleich, § 112 BetrVG . 73c. Der Sozialplan, §§ 112, 112a BetrVG . 74d. Nachteilsausgleich, § 113 BetrVG . 76Teil 2Das Betriebsverfassungsgesetz . 77Teil 3Die Wahlordnung zumBetriebsverfassungsgesetz . 163
1Teil 1 Erläuterung zumBetriebsverfassungsrechtA. EinleitungI. ArbeitnehmerbeteiligungKein Land kennt so umfassende gesetzlich geregelte Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer wie Deutschland.1 Bei der Arbeitnehmerbeteiligung ist zwischen der betrieblichen Mitbestimmung undder Unternehmensmitbestimmung zu unterscheiden. Auf betrieblicher Ebene können die Arbeitnehmer in Betrieben mit mehrals fünf Arbeitnehmern einen Betriebsrat wählen, der in vielender sie betreffenden Fragen zu beteiligen ist. Wird das Unternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, beispielsweiseeiner Aktiengesellschaft (AG) oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) betrieben, sind die Arbeitnehmer bei mehrals 500 regelmäßig Beschäftigten darüber hinaus im Aufsichtsratdes Unternehmens vertreten. Geregelt ist die Unternehmensmitbestimmung für Unternehmen mit 500 bis 2.000 Beschäftigten imDrittelbeteiligungsgesetz. Bei mehr als 2.000 Beschäftigten richtetsich die Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz.2II. Das BetriebsverfassungsgesetzIm Betriebsverfassungsgesetz ist die institutionelle Teilhabe derBeschäftigten auf betrieblicher Ebene in der Privatwirtschaft geregelt. Die Beteiligung der Arbeitnehmer erfolgt durch den Betriebsrat, dessen Organisation sowie Rechte und Pflichten umfassendim Betriebsverfassungsgesetz geregelt sind. Daneben enthält dasBetriebsverfassungsgesetz auch einige Individualrechte der Arbeitnehmer.12Niedenhoff, Mitbestimmung im europäischen Vergleich, IW-Trends 2/2005 S. 13.Vgl. Wienke/Prinz/Huke, Die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat,BDA-Reihe Praxishandbuch Bd. 10, 2009.Teil 1 Erläuterung zum Betriebsverfassungsrecht7
1. Die EntstehungIn seinen Ursprüngen geht die Idee einer Arbeitnehmervertretungzurück bis auf die Zeit der Nationalversammlung im Jahr 1848.Nach vereinzelten regionalen Regelungen war die erste deutschlandweit geltende gesetzliche Bestimmung zur Bildung von Arbeitnehmervertretungen in den Betrieben das Betriebsrätegesetzvon 1920. Der unmittelbare Vorläufer des heute geltenden Betriebsverfassungsgesetzes 1972 ist das Betriebsverfassungsgesetz 1952. Es entsprach bereits den Grundsätzen des heutigenBetriebsverfassungsgesetzes. Mit dem Betriebsverfassungsgesetz 1972 wurden die Beteiligungsrechte des Betriebsrates vorallem in sozialen und personellen Angelegenheiten deutlich ausgebaut. Darüber hinaus wurde die betriebsverfassungsrechtlicheOrganisation eingehend geregelt und die Stellung der Gewerkschaften in der Betriebsverfassung gestärkt. Die letzte umfassende Novellierung hat die Betriebsverfassung 2001 erfahren.Neben dem Wegfall der Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten wurden die Schwellenwerte für die Betriebsratsgröße(§ 9 BetrVG) und die Freistellungen (§ 38 BetrVG) verringert unddie Beteiligungsrechte weiter ausgedehnt. Mit der letzten größeren Änderung im Juli 20093 wurden Beamte, Soldaten und Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, die in Betrieben privatrechtlichorganisierter Unternehmen beschäftigt sind, in den Arbeitnehmerbegriff des § 5 Abs. 1 BetrVG aufgenommen. Die letzte Änderungerfolgte bei der Definition von Besatzungsmitgliedern in § 114Abs. 6 Satz 1 BetrVG anlässlich der Einführung des Seearbeitsgesetzes.42. Der Aufbau des BetriebsverfassungsgesetzesDie Betriebsverfassung ist systematisch aufgebaut. Zunächstwird im ersten Teil der persönliche und sachliche Anwendungsbereich geregelt. Es schließen sich organisatorischeBestimmungen zum Betriebsrat, zur Betriebsversammlung zumGesamt- und Konzernbetriebsrat sowie zur Jugend- und Auszubildendenvertretung an. Im vierten Teil – dem Kernbereich des348BGBl. I 2009, 2424.BGBl. I 2013, 868.Teil 1 Erläuterung zum Betriebsverfassungsrecht
1Betriebs verfassungsgesetzes – sind schließlich die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer und des Betriebsrats geregelt. Auch hiersind zunächst allgemeine Bestimmungen über die Grundsätze derZusammenarbeit und die allgemeinen Aufgaben vorangestellt, bevor – nach einigen individuellen Rechten der Arbeitnehmer (§§ 81bis 86 BetrVG) – die konkreten Beteiligungsrechte in sozialen(§§ 87 bis 89 BetrVG), personellen (§§ 92 bis 105 BetrVG) undwirtschaftlichen (§§ 106 bis 113 BetrVG) Angelegenheiten geregeltwerden. Abschließend enthält die Betriebsverfassung noch Sondervorschriften für einzelne Betriebsarten u. a. mit den Regelungen für Tendenzbetriebe und Religionsgemeinschaften sowie dieStraf- und Bußgeldvorschriften.B. Voraussetzungen für die Bildung einesBetriebsratsEin Betriebsrat kann gem. § 1 Abs. 1 BetrVG in Betrieben mit inder Regel mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen mindestens drei wählbar sein müssen, gewähltwerden. Ob jedoch tatsächlich ein Betriebsrat gewählt wird, hängtvon der Initiative der Arbeitnehmer oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft ab. Eine Pflicht zur Errichtung eines Betriebsrats besteht nicht.I. BetriebWas ein Betrieb ist, d. h. für welche Organisationseinheit ein Betriebsrat gewählt werden kann, lässt die Betriebsverfassung offen.Anerkannt ist, dass ein eigener Betriebsbegriff gilt, d. h. Begriffsbestimmungen aus anderen Rechtsgebieten nicht übernommenwerden können.5 Die ständige Rechtsprechung versteht unter einem Betrieb die organisatorische Einheit, innerhalb derer der Unternehmer allein oder zusammen mit seinen Mitarbeitern mit Hilfesächlicher und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnischeZwecke fortgesetzt verfolgt.6 Abzugrenzen ist der Betrieb vom56ErfK/Koch, § 1 BetrVG Rn. 7.BAG vom 14. September 1988 – 7 ABR 10/87, NZA 1988, 190 ff.; BAG vom11. Februar 2004 – 7 ABR 27/03, NZA 2004, 618 ff.; BAG vom 22. Juni 2007 –7 ABR 57/04.Teil 1 Erläuterung zum Betriebsverfassungsrecht9
nternehmen. Das Unternehmen ist auf die wirtschaftliche ZweckUverfolgung gerichtet. Es kann aus einem, aber auch aus mehreren Betrieben bestehen, in denen unter den Voraussetzungen des§ 1 BetrVG jeweils Betriebsräte gewählt werden können.Für die Abgrenzung der Organisationseinheit Betrieb spielt eineentscheidende Rolle, dass eine sachgerechte Wahrnehmung derBeteiligungsrechte für die Arbeitnehmer gewährleistet ist. Unterden verschiedenen Merkmalen zur Bestimmung des Organisationsbereichs Betrieb spielt daher das Bestehen eines einheitlichen Leitungsapparates eine entscheidende Rolle.7 Dafür istes nach der Rechtsprechung ausreichend, wenn der Leitung derProduktionsstätte die Entscheidung in personellen und sozialenAngelegenheiten im Wesentlichen überlassen wurde.8 Für die Abgrenzung mehrerer Betriebe in einem Unternehmen ist es damitein wesentliches Indiz, ob für einen bestimmten Organisationsbereich die dort bestehende Leitung beteiligungspflichtige Arbeitgeberfunktion im sozialen und personellen Bereich ausübt.9 Fehlt einentsprechender Leitungsapparat, kann eine Arbeitsstätte nur Teileines Betriebs, nicht aber selbst ein Betrieb sein.10Für die Frage, ob Arbeitsstätten einen oder mehrere Betriebe bilden, kommt es weiterhin darauf an, ob sie einen Inhaber haben,der den Arbeitnehmern als Arbeitgeber gegenübertritt. Inhaberkann eine natürliche oder juristische Person sein. Beim Fehlender Identität des Inhabers fehlt es an einem einheitlichen Betrieb,soweit nicht mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betriebbetreiben (vgl. S. 12 f.).Das Merkmal des verfolgten arbeitstechnischen Zwecks dient derAbgrenzung des Betriebs vom Unternehmen und hat keine Bedeutung bei der Feststellung, ob ein Betrieb oder nur ein Betriebsteilvorliegt. Auch der räumliche Zusammenhang ist kein Kriterium,welches zwingend auf das Vorliegen eines Betriebs schließen7891010BAG vom 11. Februar 2004 – 7 ABR 27/03, NZA 2004, 618 ff.BAG vom 23. September 1982 – 6 ABR 42/81, DB 1983, 1498 ff.; BAG vom7. August 1986 – 6 ABR 57/85, NZA 1987, 131.Richardi, BetrVG § 1 Rn. 30, kritisch DKK-Trümner, BetrVG § 1 Rn. 67 ff.Richardi, BetrVG § 1 Rn. 27.Teil 1 Erläuterung zum Betriebsverfassungsrecht
1lässt. Es ist allenfalls ein Indiz dafür.11 So folgt aus § 4 Satz 1Nr. 1 BetrVG, dass auch bei räumlich weiter Entfernung zwischenmehreren Arbeitsstätten nur ein Betrieb vorliegt, unter den dort genannten Voraussetzungen im Betriebsteil jedoch ein eigener Betriebsrat gewählt werden kann (vgl. S. 16 f.). Als eigenständigesMerkmal scheidet die räumliche Verbundenheit von vornhereinaus, wenn der Betrieb nicht standortbezogene Dienstleistungenerbringt, beispielsweise bei Arbeitnehmern im Außendienst.PraxistippDas Vorliegen einer betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit Betrieb ist entscheidend von der Organisation des Arbeitgebers abhängig12 und kann damit von diesem über die Betriebs- bzw. Unternehmensstruktur beeinflusst werden.Auch das Unternehmen ist in der Betriebsverfassung nicht definiert. Soweit der Begriff verwendet wird, steht er im Zusammenhang mit der zusätzlichen Repräsentation der Arbeitnehmer aufdieser Stufe. Anerkannt ist, dass das Unternehmen in der Betriebsverfassung im Gegensatz zum Betrieb den gesamten geschäftlichen Tätigkeitsbereich des Arbeitgebers umfasst. Es ist dieOrganisationseinheit, für die bei Bestehen mehrerer Betriebsrätegem. § 47 Abs. 1 BetrVG ein Gesamtbetriebsrat (vgl. S. 33 ff.) zubilden ist.Ein Konzern ist im betriebsverfassungsrechtlichen Verständniseine Unternehmensverbindung, für die durch Beschlüsse der einzelnen Gesamtbetriebsräte gem. §§ 57 ff. BetrVG ein Konzernbetriebsrat (vgl. S. 34) errichtet werden kann.1112H.M. Fitting, BetrVG § 1 Rn. 74 ff. m. w. N.Fitting, BetrVG § 1 Rn. 72.Teil 1 Erläuterung zum Betriebsverfassungsrecht11
1. Gemeinsamer BetriebMehrere Unternehmen können eine Arbeitsstätte in einer Weisegemeinsam nutzen, dass diese als gemeinsamer Betrieb eineeigenständige betriebsratsfähige Organisationseinheit bildet. Wasein gemeinsamer Betrieb ist, wird im Betriebsverfassungsgesetznicht definiert. Nach der Rechtsprechung ist Voraussetzung für einen gemeinsamen Betrieb als betriebsratsfähige Einheit, dass dieFunktionen des Arbeitgebers institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden und diese sich – zumindest stillschweigend – zu einer gemeinsamen Führung des Betriebsrechtlich verbunden haben.13 Es bedarf damit einer Betriebseinheitund eines rechtlich abgesicherten einheitlichen Leitungsapparates.14Ein gemeinsamer Betrieb wird gem. § 1 Abs. 2 BetrVG vermutet,wenn: (Nr. 1) Zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke die Betriebsmittel sowie die Arbeitnehmer von den Unternehmengemeinsam eingesetzt werden, d. h. von den Unternehmendie in einer Betriebsstätte vorhandenen Betriebsmittel für diearbeitstechnischen Zwecke gemeinsam genutzt und die Arbeitnehmer – unabhängig davon, zu welchem Unternehmensie gehören – gemeinsam eingesetzt werden.15 (Nr. 2) Die Spaltung eines Unternehmens zur Folge hat, dassvon einem Betrieb ein oder mehrere Betriebsteile einem ander Spaltung beteiligten anderen Unternehmen zugeordnet werden, ohne dass sich die Organisation des betroffenen Betriebs wesentlich ändert. Der Begriff der Spaltungbeschränkt sich dabei nicht auf die Spaltung im Sinne desUmwandlungsgesetzes, sondern umfasst auch die Fälle derAufspaltung, Abspaltung und Ausgliederung sowohl in Form13141512BAG vom 17. Januar 1978 – 1 ABR 71/76, DB 1978, 1133 ff.; BAG vom 11. Februar 2004 – 7 ABR 27/03, NZA 2004, 618 ff.Richardi, BetrVG § 1 Rn. 69.Gesetzesbegründung BT-Dr. 14/5741 S. 33.Teil 1 Erläuterung zum Betriebsverfassungsrecht
1der Gesamtrechtsnachfolge als auch in Form der Einzelrechtsnachfolge.16Die Vermutungstatbestände sind widerlegt, wenn nachgewiesenwird, dass keine gemeinsame Leitung der organisatorischen Einheit in den wichtigen Aufgaben eines Arbeitgebers besteht.172. Vereinbarte Organisationsstrukturen, § 3 BetrVGSeit der Novellierung der Betriebsverfassung 2001 ist es möglich,unter engen Voraussetzungen abweichende Organisationsstrukturen für die Bildung von Betriebsräten zu vereinbaren. Diese Organisationsstruktur tritt dann an die Stelle des Betriebs. Damit ist die Regelung des § 3 BetrVG der einzige Bereich, in der dieBetriebsverfassung für abweichende Vereinbarungen offen ist undden Beteiligten in einem gewissen Umfang Spielraum zur Anpassung an die Gegebenheiten des jeweiligen Unternehmens lässt.Damit soll ermöglicht werden, dass die Betriebsräte dort gebildetwerden, wo die Entscheidungen im Betrieb oder Unternehmen getroffen werden.Vereinbart werden können im Rahmen des § 3 BetrVG: 161718(Nr. 1) Bei Unternehmen mit mehreren Betrieben die Bildungunternehmenseinheitlicher Betriebsräte oder die Zusammenfassung von Betrieben zur Bildung eines gemeinsamen Betriebsrats; dies bietet sich insbesondere an, wenn dieEntscheidungskompetenzen in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten zentral auf Unternehmensebene angesiedeltsind.18 Mit einem unternehmenseinheitlichen Betriebsrat wirddie sonstige Unterscheidung zwischen Betrieb und Unternehmen (vgl. S. 9 ff.) aufgehoben. Möglich ist aber auch die Beschränkung auf die Zusammenfassung einzelner Betriebe, sodass es weiterhin mehrere Betriebsräte im Unternehmen geben kann. Weitere Voraussetzung der Zusammenfassung ist,dass dies die Bildung von Betriebsräten erleichtert – bspw.Gesetzesbegründung BT-Dr. 14/5741 S. 33.Richardi, BetrVG § 1 Rn. 75, 78; Fitting, BetrVG § 1 Rn. 89.Gesetzesbegründung BT-Dr. 14/5741 S. 34.Teil 1 Erläuterung zum Betriebsverfassungsrecht13
weil das Unternehmen partiell ohne Betriebsrat ist – oder einer sachgerechten Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen dient. Letzteres liegt vor, wenn die Entscheidungskompetenz an der Stelle angesiedelt ist, bei der ein Betriebsratangesiedelt werden soll. Das Fehlen einer dieser Alternativenmacht die tarifvertragliche Regelung unwirksam.19 (Nr. 2) Die Bildung von Spartenbetriebsräten in Unternehmen oder Konzernen, die produkt- oder projektbezogen (inSparten) organisiert sind und die Leitung der Sparte auchEntscheidungen in beteiligungspflichtigen Angelegenheitentrifft. Damit soll der Aufgliederung in Sparten – die aber nichtrechtlich verselbständigt sind – und den damit verbundenenSchwierigkeiten für die Anknüpfung der Mitbestimmung Rechnung getragen werden. Die Bildung des Spartenbetriebsratsmuss der sachgerechten Wahrnehmung der Aufgaben desBetriebsrats dienen. (Nr. 3) Andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen, soweitdies insbesondere auf Grund der Betriebs-, Unternehmensoder Konzernorganisation oder auf Grund anderer Formender Zusammenarbeit von Unternehmen einer wirksamenund zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmerdient. Damit hat der Gesetzgeber eine Art Generalklauselzur Schaffung abweichender Organisationsstrukturen geschaffen. Sie bezieht sich auf die Schaffung von Organisationseinheiten, für die ein Betriebsrat gewählt wird, nicht aufdie Bildung vom Gesetz abweichender Arbeitnehmervertretungen.20 (Nr. 4) Zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Gremienwie beispielsweise Arbeitsgemeinschaften, die der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit von Arbeitnehmervertretungen dienen. Es handelt sich dabei nicht um Mitbestimmungsorgane. Die zusätzlichen Gremien sollen nur derZusammenarbeit dienen.192014Richardi, BetrVG § 3 Rn. 22.Richardi, BetrVG § 3 Rn. 37.Teil 1 Erläuterung zum Betriebsverfassungsrecht
1 (Nr. 5) Zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Vertretungen der Arbeitnehmer, welche die Zusammenarbeit zwischenBetriebsrat und Arbeitnehmern erleichtern. Dies soll nach derGesetzesbegründung insbesondere dort in Betracht kommen, wo der Kontakt zwischen Betriebsrat und den Arbeitnehmern nicht in ausreichendem Umfang besteht.21Die abweichende Organisationsstruktur kann gem. § 3 BetrVGdurch Tarifvertrag oder, wenn keine tarifliche Regelung besteht und kein Tarifvertrag gilt, durch Betriebsvereinbarunggeregelt werden. Nur wenn kein Tarifvertrag besteht und in demUnternehmen auch kein Betriebsrat existiert, können gem. § 3Abs. 3 BetrVG auch die Arbeitnehmer die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats beschließen. Es handelt sich umkeine Angelegenheit, für die der Arbeitskampf als ultima ratio inBetracht kommt. Wenn die Tarifvertragsparteien keine Einigungerzielen, bleibt es bei der gesetzlichen Regelung. Ein Streik scheidet auf jeden Fall aus.22PraxistippDie Regelung des § 3 BetrVG ermöglicht angepasste Lösungen.Klassische Betriebs- und Unternehmensstrukturen verlieren zunehmend an Bedeutung. Die damit einhergehenden Unsicherheiten bei der Bestimmung der betriebsratsfähigen Organisationseinheit können mit einer Vereinbarung nach § 3 BetrVG vermiedenwerden. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass Vertragspartner einersolchen Vereinbarung in erster Linie die Gewerkschaft ist.2122Gesetzesbegründung BT-Dr. 14/5741 S. 34.Richardi, BetrVG § 3 Rn. 59; zumindest für Nr. 1 bis Nr. 3 Fitting, BetrVG § 3Rn. 20; a. A. DK-Trümner, BetrVG § 3 Rn. 153 ff., BAG vom 29. Juli 2009 –7 ABR 27/08, SAE 2010, 30 ff.Teil 1 Erläuterung zum Betriebsverfassungsrecht15
3. Betriebsteile, Kleinstbetriebe, § 4 BetrVGDurch die Regelung des § 4 BetrVG wird der Grundsatz durchbrochen, dass für den Betrieb und seine Betriebsteile ein einheitlicherBetriebsrat gewählt wird. Betriebsteile gelten danach als selbständige Betriebe, wenn sie (Nr. 1) räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind. Dabei kommt es nicht allein auf die tatsächliche Entfernung, d. h.auf die zwischen Betriebsteil und Hauptbetrieb liegenden Kilometer an. Entscheidend ist, ob trotz räumlicher Entfernung die Einheit der Belegschaft noch gewahrt ist, um einengemeinsamen Betriebsrat bilden zu können, der in der Lageist, für den gesamten Betrieb die Beteiligungsrechte auszuüben.23 Damit kommt auch der Verkehrsanbindung entscheidende Bedeutung zu. Während bei schlechter Verkehrsanbindung ggf. 25 km schon ausreichen, um von einer räumlichweiten Entfernung auszugehen, kann bei guter Verkehrsanbindung selbst bei 50 km Entfernung noch ein einheitlicherBetrieb vorliegen. Neben der Entfernung spielen aber auchdie Besonderheiten der Interessenlage der Belegschaft eineRolle.24 (Nr. 2) durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig sind. Die dem Betriebsteil obliegenden Aufgabenmüssen von den sonst im Betrieb verfolgten Aufgaben deutlich abgrenzbar sein. Daneben muss eine Eigenständigkeit inder Organisation bestehen.Unter den genannten Voraussetzungen kann in dem Betriebsteilein eigener Betriebsrat gewählt werden, für dessen Größe undZusammensetzung die Arbeitnehmer im Betriebsteil maßgeblichsind. Gegebenenfalls kann es zu Schwierigkeiten bei der Zurechnung der Arbeitnehmer führen.232416BAG vom 24. Februar 1976 – 1 ABR 62/75, DB 1976, 1579 ff.; SAE 1977, 52 ff.Richardi, BetrVG § 4 Rn. 21 f.Teil 1 Erläuterung zum Betriebsverfassungsrecht
1Die Arbeitnehmer eines Betriebsteils, in dem kein eigener Betriebsrat besteht, können sich gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 und 3 BetrVGauch an der Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb beteiligen.Dafür bedarf es eines formlosen Beschlusses der Arbeitnehmer,der auch vom Betriebsrat des Hauptbetriebs veranlasst werdenkann.Kleinstbetriebe mit weniger als fünf Arbeitnehmern, d. h. Betriebe, welche die Voraussetzungen des § 1 Satz 1 BetrVG nichterfüllen, werden dem Hauptbetrieb zugeordnet. Hauptbetrieb istder räumlich nächstgelegene Betrieb oder selbständige Betriebsteil.254. StreitigkeitenBei Streitigkeiten über das Vorliegen einer betriebsratsfähigen Organisationseinheit können der Arbeitgeber, die beteiligten Betriebsräteund Wahlvorstände und die im Betrieb vertretenen Gewerkschaftengem. § 18 Abs. 2 BetrVG eine Entscheidung des Arbeitsgerichtsbeantragen. Diese Entscheidung kann unabhängig von einer Betriebsratswahl herbeigeführt werden.26 Das Arbeitsgericht entscheidet im Beschlussverfahren. Die Entscheidung des Arbeitsgerichtsist mit Rechtskraft bindend, berührt jedoch nicht die Wirksamkeitder Betriebsratswahl, weil eine Verkennung des Betriebsbegriffsgrundsätzlich nur eine Wahlanfechtung rechtfertigt.27 Der Betriebsrat bleibt bis zur nächsten turnusmäßigen Wahl im Amt.PraxistippAuch wenn bereits ein Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG eingeleitet ist, muss im Anschluss an eine gleichwohl durchgeführteBetriebsratswahl diese gem. § 19 BetrVG angefochten werden.252627Richardi, BetrVG § 4 Rn. 47.BAG vom 9. April 1991 – 1 AZR 488/90, NZA 1991, 812 ff.Fitting, BetrVG § 4 Rn. 37; Richardi, BetrVG § 18 Rn. 31; ErfK/Koch, BetrVG § 18Rn. 5.Teil 1 Erläuterung zum Betriebsverfassungsrecht17
§ 93 BetrVG . 58 d. Personalfragebögen und Beurteilungs-grundsätze, §§ 94, 95 BetrVG . 58 e. Einstellung, Versetzung, Ein- und Umgruppierung, §§ 99 bis 101 BetrVG