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Ruprecht-Karls-Universität HeidelbergSommersemester 2015Historisches SeminarHauptseminar: Erziehung und Wissenschaft im NationalsozialismusDozent: Prof. Dr. Frank EngehausenProf. Dr. Willy Andreas – Rektor der UniversitätHeidelberg im Jahr 1933Analyse ausgewählter Quellen hinsichtlich dessen Haltung und Reaktionengegenüber dem Nationalsozialismus im Jahr 1933Eingereicht von:Elisa TrummerLehramt: Geschichte, Mathematik02.04.2016

Inhalt1.Einleitung . 12.Historischer Kontext im Jahr 1933 . 33.2.1Politische Einstellung des Lehrkörpers . 32.2Eingriffe im Jahr 1933 . 42.3Kurzbiographie Willy Andreas . 6Die Rektoratszeit von Willy Andreas 1933. 63.1Reaktionen auf nationalsozialistische Anweisungen . 63.1.1Hissen der Hakenkreuzfahne an Universitätsgebäuden . 63.1.2Reaktionen auf die erste Beurlaubungswelle jüdischer Dozenten . 83.2Willy Andreas als Redner . 133.2.1Immatrikulationsrede: 13. Mai 1933 . 143.2.2Rede zur ersten Mensur in der Hirschgasse am 20. April 1933 . 213.3Die Denkschrift von Willy Andreas zur neuen Hochschulverfassung . 244.Fazit . 285.Bibliographie . 315.1Quellen. 315.2Literatur . 33

1. Einleitung„Mit aller Kraft habe ich darum gerungen, die akademische Selbstverwaltung vorder Vernichtung zu retten. Für meine rassisch oder politisch bedrohten Kollegenbin ich ohne Rücksicht auf eigene Gefährdung eingetreten. Es gelang mir, dem inHeidelberg besonders radikal sich gebärdenden Nationalsozialismus manche Opferin Dozenten-, Beamten- und Studentenschaft zu entreißen.“ 1So lautet ein Auszug der Petition von Professor Dr. Willy Andreas aus dem Jahr 1946, mit derer um die Wiederherstellung seines Amtes bat, nachdem er am 19. Februar 1946 durch dieamerikanische Militärregierung im Zuge der Entnazifizierung von seinem Dienst an derUniversität entlassen worden war. Dabei versuchte er seine politische Haltung im Jahre seinerRektoratszeit 1933 darzulegen, auf die seine Entlassung zurückgeführt wurde.2Ab 1933 begann die flächendeckende Umstrukturierung nach nationalsozialistischen Ideen imöffentlichen Leben des Deutschen Reichs. Dieser Prozess wurde von den Nationalsozialistenunter dem Begriff der „Gleichschaltung“3 zusammengefasst. Ihr unterlagen auch die deutschenUniversitäten. Da Rektoren neben ihrer Hauptaufgabe der Verwaltung der Universitäten diese„traditionell“4 bei öffentlichen und feierlichen Veranstaltungen repräsentieren, nahmen siewährend des Nationalsozialismus eine Schlüsselposition ein. Ab September 1933 galt derRektor als „Führer“5 der Universität. Daher lohnt sich der Blick auf die Rektoren im Jahr 1933,vor allem da diese noch nicht gezielt vom Regime eingesetzt wurden.Willy Andreas war solch ein Rektor der Universität Heidelberg im Jahre 1933, der denÜbergang von der Weimarer Republik hin zum Nationalsozialismus moderieren musste. Ererscheint besonders interessant, da er nie der NSDAP beitrat und bereits durch dieNationalsozialisten Bedrohungen und Sanktionen erfuhr.1Petition: Darstellung des Antragstellers, 1. April 1946, in: GLA Karlsruhe N Andreas 760,3.Vgl. WOLGAST, Eike: Die neuzeitliche Geschichte im 20. Jahrhundert, in: Geschichte in Heidelberg: 100 Jahre HistorischesSeminar. 50 Jahre Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde, hrsg. v. Jürgen Miethke, Berlin [u. a.]1992, S. 149.3 Auf die Problematik des nationalsozialistisch propagierten Begriffs der „Gleichschaltung“, der Bagatellisierung für dasZiel der kompletten Unterwerfung sämtlicher Strukturen im Sinne der nationalsozialistischen Ideologien, soll hier lediglichhingewiesen werden. Zur weiteren Diskussion dieses Themas vgl. GEISS, Imanuel: Begriffe. Die sachsystematischeDimension der Weltgeschichte (Geschichte griffbereit, 4), Gütersloh 2002, S. 975.Im Folgenden wird der Begriff der „Gleichschaltung“ und weiteres nationalsozialistisches Vokabular in Anführungszeichen,aber im Verständnis der Nationalsozialisten verwendet.4 Vgl. KALKMANN, Ulrich: Die Technische Hochschule Aachen im Dritten Reich (1933-1945), Aachen 2003, S. 85;SELLIN, Volker: Die Universitätsleitung. Das Rektorat Andreas, Groh und Krieck 1933-1938, in: Die Universität Heidelbergim Nationalsozialismus, hrsg. v. Wolfgang Eckart/ Volker Sellin/ Eike Wolgast, Heidelberg 2006, S. 5.5 Verfassung der Universitäten Heidelberg und Freiburg, 21. August 1933, in: UAH B-1011/1.21

In dieser Arbeit soll betrachtet werden, wie sich Andreas im Jahr 1933 als Rektor derÖffentlichkeit, insbesondere den Studierenden, präsentierte und welche politischen Ansichtener dabei vertrat. Dazu werden Quellen nach seinen Vorstellungen und Hoffnungen befragt undbeleuchtet, wie er sich mit den gestellten Anforderungen der Nationalsozialistenauseinandersetzte.Um diese Fragen zu behandeln, ist es notwendig, das Verhalten von Andreas und die damalsvorherrschende Situation im Jahr 1933 zu betrachten.Der Umgestaltung der Heidelberger Universität widmet sich die Dissertation Vézinas über „DieGleichschaltung der Universität Heidelberg“ in den Jahren 1933 bis 1945. Darin geht sie ineinzelnen Kapiteln auf Reaktionen hinsichtlich der Verordnungen der Ministerien ein. Zudemwurde im Band „Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus“ ein Kapitel bezüglich derRektoren im Nationalsozialismus von Sellin verfasst und auch Wolgast widmete sich ineinzelnen Kapiteln dem Rektorat Andreas‘. Über das Rektorat bestehen somit zumeist einzelneKapitel oder kleinere Abschnitte innerhalb der Betrachtung, welche Auswirkungen derNationalsozialismus an der Universität Heidelberg mit sich brachte.Die Quellenlage zur Person Willy Andreas im Jahr 1933 ist aufgrund seines Rektorenamtesgrundsätzlich gut greifbar, jedoch nicht lückenlos. Beispielsweise liegt die PersonalakteAndreas‘ in Heidelberg erst ab dem Jahr 1945 vor, frühere Teile gingen laut Vermerk imFindmittel des Archivs verloren. Die korrespondierende Akte wird im Landesarchiv Stuttgartaufbewahrt, dessen Bestände in dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden. Auch im KarlsruherGenerallandesarchiv fehlen Teile der Akten bezüglich der Spruchkammer im Jahre 1947.Nichtsdestotrotz liegen zahlreiche Quellen vor, die Aufschluss über seine Rektoratszeit geben.Um sein Verhältnis zum Nationalsozialismus zu betrachten, erscheint es sinnvoll,schwerpunktmäßig drei Quellenarten herauszugreifen. Bedeutend sind auf einer SeiteDokumente in Form von Reden, die belegen, wie sich Andreas der Öffentlichkeit und denStudierenden präsentierte. Als Quellenkorpus bieten sich hierbei die Immatrikulationsrede vomMai und die Rede zur „Ersten Mensur in der Hirschgasse“ 1933 an. Auf der anderen Seite sinddie Reaktionen auf die personelle und institutionelle „Gleichschaltung“ der Universitäten abApril 1933 zu betrachten. Hierfür liegen Quellen in Form von Briefen zwischen dem Rektoratund dem Ministerium des Kultus und Unterrichts, wie auch Notizen über Senatssitzungen oderAufforderungen an das Personal der Universität Heidelberg vor. Als weitere Quelle liegt dieDenkschrift Andreas‘ vor, die von ihm zum Ende seiner Amtszeit als Rektor im Zuge der neuen2

Universitätsverfassung verfasst wurde. Zudem gibt seine Petition Auskunft darüber, wieAndreas seine Haltung zum Nationalsozialismus selbst begründete.Bevor die einzelnen Quellen analysiert werden, ist es notwendig, den Kontext im Bereich derpolitischen Einstellung der Universitätsmitglieder und die erlassenen Gesetze 1933 zubeleuchten. Auch eine kurze Betrachtung des Lebenslaufs Andreas‘ ist sinnvoll, um denLeitfragen nachzugehen.2. Historischer Kontext im Jahr 19332.1 Politische Einstellung des LehrkörpersVor 1933 gab es wenige Mitglieder der Universität Heidelberg, die offen für die WeimarerRepublik einstanden. Dazu gehörten unter anderem die Juristen Gustav Radbruch und GerhardAnschütz, die gemeinsam versuchten die Heidelberger Dozentenschaft zur Mitarbeit imWeimarer Kreis zu bewegen, um für die Weimarer Republik und gegen die zunehmendeRadikalisierung einzustehen.6 Lediglich etwa zehn Prozent der Professoren standen zu Parteiender Weimarer Koalition.7 Ein Großteil der Dozentenschaft äußerte sich gegen die Vermischungvon Politik und Wissenschaft innerhalb der Universität.8Von den politisch interessierten Dozenten waren die meisten deutsch-national eingestellt undauch die Heidelberger Dozentenschaft stellte hierbei keine Ausnahme dar. Dennoch gab es imVergleich zu anderen Universitäten einen kleinen Anteil aktiver republikfreundlicherDozenten, wodurch die Heidelberger Universität vor der Zeit des Nationalsozialismus alsverhältnismäßig liberal galt.9 In der Phase vor 1933 bekannten sich nach Vézinas undMussgnugs Recherchen kaum Universitätsmitglieder zum Nationalsozialismus.10 Zu denPersonen, die vor dem Januar 1933 offen zum Nationalsozialismus standen, gehörten unteranderem die Professoren Fehrle, Lenard und Endemann. Sie unterzeichneten im März 1933 den„Wahlaufruf zugunsten der NSDAP.“11 Zudem bekleidete Schmitthenner ab Mai 1933 das Amtdes Staatsrates und später des Staatsministers,12 Fehrle wurde Hochschulreferent imVgl. VÉZINA, Birgit: „Die Gleichschaltung“ der Universität Heidelberg im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung,Diss., Heidelberg 1982, S. 21-23.7 Vgl. PETERS, Christian/ WECKBECKER, Arno: Auf dem Weg zur Macht. Zur Geschichte der NS-Bewegung in Heidelberg1924-1934. Dokumente und Analysen, Heidelberg 1983, S. 239.8 Vgl. MUSSGNUG, Dorothee: Die Universität zu Beginn der Nationalsozialistischen Herrschaft, in: Semper Apertus,Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1386-1986, Festschrift in sechs Bänden, hrsg. v. Wilhelm Doerr,Bd. 3: Das zwanzigste Jahrhundert 1918-1985, Heidelberg 1985, S. 467.9 Vgl. WOLGAST, Eike: Das zwanzigste Jahrhundert, in: Semper Apertus, Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-UniversitätHeidelberg 1386-1986, Festschrift in sechs Bänden, hrsg. v. Wilhelm Doerr, Bd. 3, Das zwanzigste Jahrhundert 1918-1985,Heidelberg 1985, S. 16; VÉZINA 1982, S. 21.10 Vgl. VÉZINA 1982, S. 21; MUSSGNUG 1985, S. 467.11 MUSSGNUG 1985, S. 468.12 Vgl. JANSEN, Christian: Professoren und Politik. Politisches Denken und Handeln der Heidelberger Hochschullehrer 19141935 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 99), Göttingen 1992, S. 242.63

Kultusministerium.13 Diese Beispiele zeigen die zum Teil enge Verknüpfung der Tätigkeitenan der Universität und den nationalsozialistisch besetzten Ministerien.14 Diese zunehmendenationalsozialistische Präsenz innerhalb der Universität muss auch bei der Betrachtung desVerhaltens von Willy Andreas als Rektor bedacht werden.Ab 1933 kamen zahlreiche Gesetze und Erlasse auf die badischen Hochschulen zu, die sowohldie Zusammensetzung des Universitätspersonals, der Studentenschaft als auch die Struktur derUniversitäten veränderte. Dabei griff das badische Ministerium meist mit wesentlich strengerenAnordnungen den reichsweiten Gesetzen voraus. Im Folgenden werden die Gesetze im Jahr1933, welche die Universität Heidelberg betrafen, kurz erläutert. Dies bildet die Grundlage fürdie später stattfindende Diskussion der Reaktionen und Reden von Andreas.2.2 Eingriffe im Jahr 1933Die erste Phase der „personellen Säuberung“ erfolgte am 5. April 1933 durch den badischenReichskommissar15 Robert Wagner in Form des „Badischen Judenerlasses“.16 Er veranlasste inBaden die Beurlaubung „sämtlicher Juden im öffentlichen Dienst [ ] mit sofortiger Wirkungbis auf Weiteres.“17 Als hinreichender Grund für die Beurlaubung galt ein nichtarischerGroßelternteil. Am Tag darauf erreichte die Universität Heidelberg die Aufforderung„Angehörige der jüdischen Rasse“18 schriftlich zu beurlauben.Wiederum einen Tag später, am 7. April, wurde von der Reichsregierung im Reichsgesetzblattdas „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“19 veröffentlicht.20 Durch diesesGesetz konnten personelle Veränderungen durch Entlassungen an Hochschulen und sonstigenöffentlichen Institutionen aus politischen und rassistischen Gründen legalisiert werden.Die genauen Bestimmungen des GWdB werden in dieser Arbeit nicht aufgeschlüsselt.Wichtiger Hintergrund sind die grundlegenden Unterschiede. Zum einen, dass im GWdB einigeAusnahmeregelungen vorgesehen waren, wohingegen der badische Erlass keine Ausnahmenberücksichtigte, zum anderen die Hinzunahme politischer Gegner im GWdB. Außerdemverlangte der Erlass Wagners Beurlaubungen, wohingegen das GWdB Entlassungenbeinhaltete. Das badische Ministerium richtete sich dem Historiker Wolgast zufolge noch bis13Vgl. KÜHLMANN, Wilhelm: Germanistik und Deutsche Volkskunde, in: Die Universität Heidelberg imNationalsozialismus, hrsg. v. Wolfgang Eckart/ Volker Sellin/ Eike Wolgast, Heidelberg 2006, S. 355.14 Vgl. MUSSGNUG 1985, S. 468.15 Vgl. SELLIN 2006, S. 5.16 Badischer Judenerlass: Karlsruher Zeitung, Nr. 81, 5. April 1933, in: UAH B-3026/4a.17Ebd.18 Aufforderung zur Umsetzung des Judenerlasses, 6. April 1933, in: UAH B-3026/4a.19 Nachfolgend abgekürzt GWdB.20 Vgl. Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums: Reichsgesetzblatt, 7. April 1933, Deutsches Reichsgesetzblatt,Teil I, online via: Österreichische Nationalbibliothek http://alex.onb.ac.at/tab dra.htm [7.10.2015].4

Ende April nach dem eigenen Erlass und berücksichtigte demnach zunächst keineAusnahmeregelungen.21Am 21. August 1933 wurde die Badische Hochschulverfassung veröffentlicht. Darin kam esbereits im ersten Abschnitt zum Widerspruch „die völlige Erneuerung der deutschenHochschule kann nur erreicht werden, wenn die Hochschulreform einheitlich und umfassendim ganzen Reich vorgenommen wird.“22 Denn es gab zunächst kein reichseinheitlichesVorgehen und die vorläufigen Verfassungen von Preußen und Baden unterschieden sichbeispielsweise erheblich.23 In Baden wurde der Rektor als „Führer“ der Universität nicht mehrvom Senat gewählt, sondern durch den Minister des Kultus, des Unterrichts und der Justizernannt. Dem Rektor stand es zu, die Dekane und ihre Vertreter zu ernennen. Zudem sollten anden Sitzungen des Senats die Vorsitzenden der Studentenschaft, Vertreter der Beamten- undAssistentenschaft mit einberufen werden, falls sie von den anberaumten Angelegenheitenbetroffen waren.24 Im Senat fanden keine Abstimmungen mehr statt. Somit hatte er nur nocheine beratende Funktion. Hildebrand fasst treffend zusammen:“Senate und Fakultäten büßten ihre angestammten Rechte ein und traten sie anRektoren und Dekane ab, die als »Führer« ihrer Einrichtungen der Befehlsgewaltdes Staates unterlagen.“25In die Amtszeit von Andreas fällt neben der ersten Phase der „personellen Säuberung“ diestrukturelle Änderung durch eine neue Universitätsverfassung.Den Prozess der gezielten Ausgrenzung politisch und rassistisch ungewollter Personen alsÜbergangsrektor zu moderieren, bedeutete unter anderem Gesetze und Verordnungenauszuführen. Das heißt, letztlich waren die Rektoren durch die Ausführung der Gesetze für dieEntlassungen innerhalb der Universitäten verantwortlich.Bevor die Handlungen Andreas‘ im Jahr 1933 betrachtet werden, soll zunächst ein kurzerAbriss seiner Biographie einen Einblick in seinen Werdegang und seine politische Einstellungbis zum Jahre 1933 geben, um darauf Bezug nehmen zu können.21Vgl. WOLGAST, Eike: Das zwanzigste Jahrhundert, in: Semper Apertus, Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-UniversitätHeidelberg 1386-1986, Festschrift in sechs Bänden, hrsg. v. Wilhelm Doerr, Bd. 3, Das zwanzigste Jahrhundert 1918-1985,Heidelberg 1985, S. 16.22 Verfassung der Universitäten Heidelberg und Freiburg, 21. August 1933, in: UAH B-1011/1.23 Vgl. Ebd.; Vorläufige Maßnahmen zur Vereinfachung der Hochschulverwaltung (Preußen), online via: DigitaleZeitschriftenarchiv http://www.digizeitschriften.de/dms/img/?PPN ZDB985843438 0075&DMDID DMDLOG 0423 [12.06.2015].24 Vgl. Verfassung der Universitäten Heidelberg und Freiburg, 21. August 1933, in: UAH B-1011/1.25 HILDEBRAND, Klaus: Universität im „Dritten Reich“ in: Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur deutschenUniversitätsgeschichte. Festschrift für Eike Wolgast zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Armin Kohnle/ Frank Engehausen, Stuttgart2001, S. 196.5

2.3 Kurzbiographie Willy AndreasWilly Andreas, geboren am 30. Oktober 1884, war ab dem Sommersemester 1922 in Heidelbergordentlicher Professor und Mitdirektor des Historischen Seminars. 1932 wurde er zum Rektoran der Universität Heidelberg gewählt. Nach dem Machtantritt der neuen Regierung unter Hitlerstellte er sein Amt zur Verfügung, wurde aber erneut als Rektor bestätigt. Andreas blieb trotzAnfeindungen bis 1946 an der Universität Heidelberg, bis er am 18. Februar 1946 von deramerikanischen Militärregierung im Zuge der Entnazifizierung der deutschen Hochschulenentlassen wurde.26 Ihm wurde unter anderem „Nationalismus, Annexionismus, Imperialismus,Halbnazitum und Kulturpropaganda“27 und explizit die Aufnahme Horst Wessels in den Band„Die Großen Deutschen“ vorgeworfen.28 Nach einem Antrag auf Zurücknahme der Entlassungwurde er letztlich durch die amerikanische Militärregierung im März 1947 mit demSpruchkammerverfahren als „nicht belastet und nicht betroffen“29 eingestuft.In seiner wissenschaftlichen Arbeit beschäftigte er sich meist mit dem „große[n] Mann, diehistorische Persönlichkeit.“30Politisch wird Andreas vor dem März 1933 eindeutig dem Liberalismus und Nationalismuszugeordnet.31 Für Wolgast ist er ein „glühender Patriot, der die außenpolitischenDemütigungen Deutschlands nicht verwandt.“32 Andreas beteiligte sich nicht an den Aktionendes Weimarer Kreises, er „unterzeichnete [ ] den Aufruf der Historiker zur WiederwahlHindenburgs und wandte sich damit gegen Hitler“33 und auch nach 1933 trat er nicht derNSDAP bei.343. Die Rektoratszeit von Willy Andreas 19333.1 Reaktionen auf nationalsozialistische Anweisungen3.1.1 Hissen der Hakenkreuzfahne an UniversitätsgebäudenDie erste Begegnung des Rektors mit Nationalsozialisten, die öffentliche Reaktionenhervorrief, erfolgte am 7. März 1933. An diesem Tag versuchten SS-Männer Hakenkreuzfahnenan der Universität zu hissen. Abgedruckt in der „Volksgemeinschaft“ Nr. 59 vom 10. März26Vgl. Petition: Darstellung des Antragstellers, 1. April 1946, in: GLA Karlsruhe N Andreas 760,3.WOLGAST 1992, S. 149.28 Vgl. WOLGAST, Eike: Mittlere und Neuere Geschichte Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus, hrsg. v.Wolfgang Eckart / Volker Sellin / Eike Wolgast, Heidelberg 2006, S. 514.29 DRÜLL, Dagmar: Willy Andreas, in: Heidelberger gelehrten Lexikon 1803-1932, hrsg. v. Dagmar Drüll, Heidelberg [u. a.]2. Auflage (In Vorbereitung).30 WOLGAST, Eike: Geschichtswissenschaft in Heidelberg 1933-1945, in: Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften,hrsg. v. Hartmut Lehmann/ Otto Gerhard Oexle, Bd.1: Fächer – Milieus – Karrieren, Göttingen 2004, S. 151.31Vgl. WOLGAST 1992, S. 141.32 Ebd.33 Ebd.34 Vgl. REMY, Steven P.: The Heidelberg Myth. The Nazification and Denazification of a German University, Cambridge/London 2002, S. 187.276

1933 wurde dazu Kritik an der Reaktion Andreas‘ auf die Fahnenaktion veröffentlicht.35 Eswird beschrieben, wie er die Aktion aufgrund der Tatsache ablehnte, dass keine Verordnungvorliege und er auf die Verfassung von 1919 beeidigt sei. Diese Stellungnahme konnte demHissen der Fahne letztlich nichts entgegensetzen, denn die Fahne wurde laut Artikel „ohnefreundliche Genehmigung des Rektors gehißt.“36 Zudem wurde Andreas der Stand alsHistoriker abgesprochen, indem der „Beamte“ über den Historiker Andreas gesiegt und er die„nationale Revolution als Faktum“37 nicht erkannt habe. Diese Aussage spiegelt auch dieAbneigung der Nationalsozialisten gegen das bestehende Prinzip des Beamtentums in derWeimarer Republik wider. In der verlesenen Verkündung des Rektors, um das Hissen zuverhindern, schwingt die Notwendigkeit einer neuen Verordnung mit, um das Hissen der Fahneüberhaupt zu ermöglichen. Dies impliziert die Ansicht, die Handlung der Nationalsozialistensei eine rechtswidrige Aktion gewesen.38Daraus ergibt sich zum einen die Interpretation von Andreas als Person, die hinter der nochbestehenden Verfassung Schutz suchte, um das Hissen der Fahne trotz Einschüchterungen undsomit auch den Nationalsozialismus zu diesem Zeitpunkt abzulehnen. Diese Darstellung desProtestes durch Berufung auf seinen geleisteten Eid führte Andreas in seiner Petition 1947selbst auf.39 Zum anderen besteht die Möglichkeit den Protest nicht als persönlichen WiderstandAndreas‘ zu werten, sondern als pflichtbewusstes Handeln nach seiner Vereidigung. Dabeiwürde sich die Frage stellen, ob Andreas das Hissen auch abgelehnt hätte, wenn bereits eineneue Verordnung bestanden hätte. Ein Blick in den weiteren Verlauf der Universitätsgeschichtelässt eine Verneinung vermuten. Schließlich gelang es den Nationalsozialisten bereits am 12.März durch den „Erlass des Reichspräsidenten über die vorläufige Regelung derFlaggenhissung“40 ohne großen Widerstand das Anbringen der Fahnen an denUniversitätsgebäuden. Ähnliche Aktionen, wie beispielsweise von Alfred Weber, dem Leiterdes Instituts für Sozial- und Staatswissenschaft, führten zur Einberufung eineraußerordentlichen Senatssitzung am 10. März. In dieser erklärte Andreas, wie Vézina darlegt,dass sämtliche Aktionen gegen die Beflaggung der Universität mit dem Rektorat abgesprochenDie Darstellung der Zeitung „Volksgemeinschaft“ stimmt mit der Schilderung der Petition Andreas von 1946 überein.Bedacht werden muss hier jedoch, dass dies auch aus persönlichem Interesse ähnlich geschildert wurde, um seine Unschuldzu bestärken. vgl. Petition: Darstellung des Antragstellers, 1. April 1946, in: GLA Karlsruhe N Andreas 760,3.36 Hissen der Fahnen an Universitätsgebäuden, in: Volksgemeinschaft Nr. 59 vom 10. März 1933.37 Ebd.38 Vgl. SELLIN 2006, S. 17.39Vgl. Petition: Darstellung der Sache der Personalien des Antragstellers, 1. April 1946, in: GLA Karlsruhe N Andreas760,3.40 Vgl. Erlass des Reichspräsidenten über die vorläufige Regelung der Flaggenhissung, in: RGBl. I 1933, S. 103, online via:Österreichische Nationalbibliothek http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid dra&datum 1933&size 45&page 228 [22.08.2015].357

werden müssen.41 Dies kann als Versuch aufgefasst werden öffentliche Kritik, wie sie in derpropagandistischen Zeitung „Volksgemeinschaft“ stattfand, zukünftig zu vermeiden. Die„Volksgemeinschaft“ trug somit dazu bei, weitere Protestaktionen zu verhindern. Demzufolgekann mit dieser Situation und der öffentlichen Kritik ein Exempel statuiert worden sein,insbesondere da der Artikel mit der Aufforderung endet „wir hoffen, diese Herren [gemeintsind Willy Andreas und Alfred Weber] werden nun belehrt sein!“42In der Forschungsliteratur findet sich häufig der Vergleich von Willy Andreas und AlfredWeber, der sich heftiger gegen das Hissen der Fahnen am Institut zur Wehr setzte. Die Aktiondes Rektors wird hierbei häufig mit er „begnügte sich [ ] mit der Verlesung einerErklärung“43 betitelt und, wie oben bereits angedeutet, nicht dem offenen Widerstandzugesprochen. Dennoch wird aus der Situation auf jeden Fall deutlich: Andreas unterstützte dieFahnenaktionen und somit auch den Nationalsozialismus in dieser Phase nicht und toleriertederen Handlungen nicht vollständig. Die Forderung, zukünftige Aktionen der Universitätzunächst mit ihm abzusprechen, zeigt dessen ungeachtet auch nicht die Zustimmung zumoffenen Widerstand, wie ihn Weber führte.3.1.2 Reaktionen auf die erste Beurlaubungswelle jüdischer DozentenAls am 5. April in Baden der „Badische Judenerlass“ in Kraft trat, reagierte das Rektorat am 8.April mit der Einberufung einer dringenden Senatssitzung für den 10. April 1933.44 Am selbenTag wurden zudem Anfragen an die Rektoren in Berlin, Bonn und Dortmund verfasst, ob auchin anderen Ländern die Beurlaubung jüdischer Dozenten erlassen worden sei.45 Womöglichbestand zu diesem Zeitpunkt noch die Hoffnung des Rektorats, Baden würde mit dem Erlasseine Ausnahme darstellen. Diese Hoffnung wurde jedoch von zwei Seiten zunichtegemacht.Zum einen fielen die Antworten der angeschriebenen Universitäten unterschiedlich aus. Soteilte beispielsweise Dortmund mit: „Jawohl laut Beamtengesetz heute veroofentlicht [sic!].“46Die Universität Berlin hingegen teilte mit: „Aus Guter [sic!] Quelle erfahre ich, daß nurEinzelbeurlaubungen beabsichtigt sind.“47 Wobei die Informationsquelle nicht genauerpräzisiert wurde. Dennoch wurde deutlich, dass es auf jeden Fall Entlassungen geben würde.Zum anderen wurde bereits zwei Tage nach dem „Badischen Judenerlass“ das reichsweite„Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ erlassen, worauf sich das Telegramm41Vgl. VÉZINA 1982, S. 25.Hissen der Fahnen an Universitätsgebäuden, in: Volksgemeinschaft Nr. 59 vom 10. März 1933.43SELLIN 2006, S. 17.44 Vgl. Einberufung zu einer dringenden Senatssitzung, 8. April 1933, in: UAH B-3026/4a.45 Vgl. Telegramme an die Universitäten Berlin, Bonn und Dortmund, 8. April 1933, in: UAH B-3026/4a.46 Telegramme der Universitäten Dortmund und Berlin an das Rektorat der Universität Heidelberg, in: UAH B-3026/4a.47 Ebd.428

aus Dortmund bezog. Dadurch konnte die Annahme, Baden sei eine Ausnahme, ausgeschlossenwerden.Die Medizinische Fakultät verfasste unmittelbar am 5. April ein Memorandum, das an dasUnterrichtsministerium sowie die Fakultäten der Universitäten Heidelberg und Freiburgversandt wurde.48 Darin betonte die Medizinische Fakultät den Beitrag des Judentums „angrossen Leistungen der Wissenschaft“ und, dass „die Selbstverwaltung der Universität imRahmen der staatlichen Notwendigkeit erhalten bleiben“49 müsse. Dennoch beinhaltete auchdieses Schreiben Beteuerungen mit dem Staat einig zu sein und im Falle dessen, dass„ungeeignete Elemente von den Universitäten auszuschalten [seien], das Urteil derSachverständigen gehört werde[n würde].“50 Das Schreiben ist zwar eingebettet inunterwürfige Floskeln und mit nationalsozialistischen Begriffen und der Gleichgesinnung mitdem Staat bestückt, beinhaltet aber dennoch Solidarität für betroffene Kollegen und eindeutigeKritik, nicht mit dem Erlass einverstanden zu sein.51 Da das Memorandum nach Sellin inAbsprache mit Andreas verfasst wurde,52 lässt sich vermuten, dass Andreas auch dazu beitrugin der anberaumten Senatssitzung ein ähnliches Schreiben wie das der Medizinischen Fakultätzu entwerfen. Darin brachte der Engere Senat seine Betroffenheit gegenüber dem Erlass zumAusdruck. Er argumentierte mit der ursprünglich „unkündbar[en]“ 53 Einstellung der Dozentenan der Universität und betonte „hohe Verdienste“54, die sie für die Universität erlangt hatten.Zudem widerspreche die Beurlaubung dem Rechtsempfinden. Der Senat ging noch weiter,indem er den Minister warnte, durch die Durchführung entstünde für die Universität enormerSchaden, da die „betroffenen Dozenten [ ] hervorragende Forscher und Lehrer [waren und][ ] sich nicht ersetzen“ 55 ließen. Der Senat wies außerdem auf fehlende Informationen für dieUmsetzung des Erlasses hin. Abschließend zeigte der Senat auf, dass die Schädigung derUniversität letztlich auch „der Regierung zu Last“56 fallen würde. Handschriftlich ergänztwurde das Argument, dass sich selbst Dozenten, die nach einer Ausnahmeregelung an derUniversität blieben, lediglich „geduldet“57 fühlten.Folgt man der Einschätzung der Forschungsliteratur, blieb das Schreiben lediglich ein erReaktionseitensdes48SELLIN 2006, S. 7.Memorandum der Medizinischen Fakultät, 5. April 1933, in: UAH B-3026/4a.50 Ebd.51 Vgl. Ebd.52 Vgl. SELLIN 2006, S. 7.53Entwurf des Engeren Senats, 10. April 1933, in: UAH B-3026/4a.54 Ebd.55 Ebd.56 Ebd.57 Ebd.499

Unterrichtsministeriums.58 Diese These wird gestützt durch das Schreiben, das Andreas am 11.April an das Ministerium des Kultus und Unterrichts Karlsruhe sandte. Darin teilte er mit, dasssämtlichen „Dozenten, Beamten und Assistenten“ Fragebögen verteilt wurden, um notwendigeInformationen einzuholen, da „die Zugehörifkeit [sic!] zur jüdischen Rasse in den meistenFällen noch der Feststellung bedarf.“59 Vor allem die Initiative der Universität selbständigeinen Fragebogen zu entwickeln, um fehlende Informationen einzuholen, kommt einemZugeständnis der Umsetzung gleich. Dies steht in klarem Widerspruch zum ursprünglichenEntwurf des Senats. Das Versenden beider Schriften schließt sich daher aus.Die Existenz des Entwurfs des Senats zeigt, entgegen der Meinung Vézinas, der Senat war sichnicht „darüber einig, daß eine Durchführung des Erlasses nicht zu umgehen sei.“60 Zudemzeigen das Schreiben der Medizinischen Fakultät und die Anregung der Naturwissenschaftlichmathematischen Fakultät, den „Protest namhafter deutscher Gelehrter gegen dennationalsozialistischen Rassenbegriff“61 anzuführen, die Möglichkeit zum offenen Widerstand.Dennoch scheint die Mehrheit gegen einen offenen Protest gewesen zu sein.

Zur Geschichte der NS-Bewegung in Heidelberg 1924-1934. Dokumente und Analysen, Heidelberg 1983, S. 239. 8 Vgl. MUSSGNUG, Dorothee: Die Universität zu Beginn der Nationalsozialistischen Herrschaft, in: Semper Apertus, Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1386-1