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rur.oekom.deBEITRAG https://doi.org/10.14512/rur.77ARTICLEOPEN ACCESSWie mit Populisten umgehen? Demokratie- undplanungstheoretische Perspektiven für Planungspraxisund PlanungsforschungPia Thiele, Markus LeibenathEingegangen: 21. Januar 2021 Angenommen: 6. Mai 2021 Online veröffentlicht: 7. Juni 2021ZusammenfassungSchlüsselwörter: Demokratietheorien kommunikativePlanungstheorie rationale Planungstheorie agonistischePlanungstheorie Rollen von Planern Das Erstarken populistischer Kräfte stellt die räumliche Planung vor neue Herausforderungen, weil daraus sowohl inhaltliche als auch verfahrensbezogene Konflikte entstehenkönnen. Ziel des Beitrags ist es, drei demokratie- und planungstheoretisch begründete Perspektiven auf Populismusund Planung zu entwickeln und Schlussfolgerungen für Planungspraxis und Planungsforschung zu ziehen. Dabei handeltes sich um elitenorientierte, rational-technokratische Theorien, um deliberative, beteiligungsorientierte Theorien sowieum radikaldemokratisch-agonistische Theorien. Übersetztman diese theoretischen Perspektiven in planerische Grundorientierungen, dann ergibt sich ein differenzierter Blick auffünf mögliche Optionen zum Umgang mit populistischen Akteuren und Tendenzen in der Planungspraxis: ,ignorieren‘,,argumentieren‘, ,integrieren‘, ,exkludieren‘ und ,profitieren‘.So könnten Planer und Populisten unter bestimmten Annahmen zu Verbündeten werden, die beispielsweise das Interesse an der Re-Politisierung bestehender Zustände teilen.Und schließlich werden aus den verschiedenen theoretischenBlickwinkeln heraus Themen und Fragen für weitergehendeUntersuchungen vorgeschlagen.Pia Thiele, Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung,Weberplatz 1, 01217 Dresden, [email protected] Prof. Dr. Markus Leibenath, Fachgebiet Landschaftsplanungund Kommunikation, Universität Kassel, Gottschalkstraße 26,34127 Kassel, [email protected] How to deal with populists? Democratic andplanning theoretical perspectives in view ofplanning practice and researchAbstractThe rise of populist forces presents a new challenge to spatialplanning because of its potential for conflict in substantial andprocedural terms. The aim of the article is to develop threeperspectives on populism and planning based on democracyand planning theory and to draw conclusions for planningpractice and planning research. The theories consulted areelitist, rational-technocratic theories, deliberative, participatory theories as well as radical democratic-agonistic theories.If we are to translate theses perspectives into planners’ hypothetical courses of actions, a nuanced picture of possiblestrategies of action in dealing with populist actors and tendencies comes about. Planning practitioners may choosestrategies like ‘ignoring’, ‘arguing’, ‘integrating’, ‘excluding’and ‘profiting from’ populists. As such, planners and populists might become allies sharing a common interest in repoliticizing current conditions. Concluding, with said theoretical perspectives in mind, the contribution offers topics andquestions for further research.Keywords: Democratic theories Communicative planning theory Rational planning theory Agonistic planningtheory Roles of planners Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung,Weberplatz 1, 01217 Dresden, Deutschland 2021 Leibenath; licensee oekom verlag. This OpenAccess article is published under a Creative Commons Attribution4.0 International License.228Raumforschung und Raumordnung Spatial Research and Planning (2021) 79/3: 228–242

Wie mit Populisten umgehen? Demokratie- und planungstheoretische Perspektiven für Planungspraxis und .raler Ebene entstehen, weil zumindest Teile der AfD latent oder offen antidemokratische Positionen vertreten undVerschwörungsmythen verbreiten (Kailitz 2020). Außerdemstellen sie – wie etwa im Bezug auf den Klimawandel –gut gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse in Frage. Diesläuft dem Ansatz der räumlichen Planung in Deutschlandzuwider, Pläne auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse zu erstellen sowie unterschiedliche Interessenin demokratischen Abwägungs- und Entscheidungsprozessen auszubalancieren (vgl. Leibenath 2019). Daher stehenräumliche Planer in Deutschland vor der praktischen Frage,wie sie mit den Vertretern einer populistischen Partei wieder AfD umgehen sollen.Populistische Phänomene haben auch unter planungstheoretischen Gesichtspunkten in den letzten Jahren wachsende Beachtung erfahren. Beispielsweise appelliert Sager(2020) an kritische Planungsforscher, neben Neoliberalismus auch autoritären Populismus verstärkt in den Blickzu nehmen, und zeigt auf, welche Herausforderungensich daraus insbesondere im Hinblick auf kommunikativePlanungstheorien ergeben. Ebenfalls dezidiert planungstheoretisch argumentieren Griggs und Howarth (2008) inihrer Fallstudie über den Widerstand gegen den Ausbau desFlughafens London-Stansted. Unter Rückgriff auf die poststrukturalistische Populismus-Theorie von Laclau (2007)zeichnen sie nach, wie lokale Protestanliegen mit einerallgemeineren populistischen Rhetorik und entsprechendenVeränderungsstrategien verbunden werden können. Andere Autoren analysieren die Einflussnahme populistischerAkteure auf Planungsprozesse. So beschreibt Filion (2011,2018), wie sich Torontos Stadtplanungspolitik durch dieWahl eines rechtspopulistischen Bürgermeisters veränderthat, nachdem er das Budget für den öffentlichen Nahverkehrgekürzt und den motorisierten Personenverkehr aufgewertet hat. Weitere Studien widmen sich der Tea Party undarbeiten heraus, wie deren Repräsentanten versuchen, dieDeutungshoheit über Planungsprozesse zu erlangen, während sie gleichzeitig räumliche Planung im Allgemeinen(Trapenberg Frick 2013) sowie Klimaanpassungspläne imSpeziellen ablehnen (Foss/Howard 2015). Ferner gibt esUntersuchungen, die sich zwar auf Populismus im Zusammenhang räumlicher Konflikte beziehen, allerdings ohnedabei planerische Aspekte eingehender zu thematisieren.Dazu gehören etwa Arbeiten im Kontext der Energiewende(Eichenauer/Reusswig/Meyer-Ohlendorf et al. 2018; Selk/Kemmerzell/Radtke 2019; Reusswig/Lass/Bock 2020) odereine Fallstudie von Kurtenbach (2019) über die Ausgrenzung von Geflüchteten.Hinsichtlich des Stands der Forschung zu Populismusim Kontext räumlicher Fragen ergibt sich somit ein heterogenes Bild. Es besteht aus einzelnen Untersuchungen, dieteilweise auf bestimmte Planungs- und Populismustheorien Bezug nehmen, teilweise aber auch rein empirisch au1 EinleitungRäumliche Planer1 sind in ihrer Arbeit mehr und mehr mitdem Erstarken populistischer Kräfte innerhalb der Gesellschaft konfrontiert – in vielen Teilen der Welt. Dazu zählenin den USA die Tea-Party-Bewegung und große Teile derRepublikanischen Partei, die französische Sammlungsbewegung Rassemblement National, die internationale OccupyBewegung, die spanische Podemos-Partei, die italienischeLega-Partei und die Fünf-Sterne-Bewegung sowie die Alternative für Deutschland (AfD), um nur einige Beispielezu nennen. Manche dieser Gruppierungen sind eher demrechten und andere eher dem linken Teil des politischenSpektrums zuzuordnen.In den Politikwissenschaften wird mit unterschiedlichenPopulismus-Begriffen gearbeitet. Es besteht jedoch weitgehend Einigkeit darüber, dass populistische Parteien undBewegungen in der Regel mindestens drei Merkmale aufweisen, und zwar unabhängig von ihrer inhaltlich-ideologischen Orientierung (vgl. Mudde/Rovira Kaltwasser 2019):Erstens suggerieren sie eine Spaltung der jeweiligen Gesellschaft in Volk und Elite (Mudde/Rovira Kaltwasser 2019:25) und leiten daraus eine Repräsentationslücke zwischenRegierenden und Regierten ab (Jörke/Selk 2017: 67). Darauf aufbauend wenden sie zweitens eine Mobilisierungslogik an, der zufolge „möglichst breite Bevölkerungssektoren als ,das Volk‘ gegen eine ,Elite‘ mobilisiert werden“(Marchart 2017: 11). Und drittens behaupten Populisten,die Interessen des vermeintlich wahren Volkes zu vertreten,das als homogen imaginiert wird, woraus sich eine antipluralistische Haltung ergibt (Mudde/Rovira Kaltwasser 2019:25).In Deutschland sind insbesondere die Stimmengewinneder populistischen AfD auch für die räumliche Planung relevant. Denn AfD-Vertreter sind – entsprechend ihrer Erfolgebei Kommunal- und Landtagswahlen – in planerischen Entscheidungsgremien aktiv. Daraus können sich zum eineninhaltliche Konflikte ergeben. So möchte die AfD etwadie Dekarbonisierung der Wirtschaft im Rahmen der sogenannten Großen Transformation beenden und plädiertgegen einen weiteren Ausbau der Windenergie (Alternativefür Deutschland 2017: 65 f.). Dies steht in Widerspruchzu zentralen Aufgaben der räumlichen Planung, etwa derWindenergie substanziell Raum zu geben (vgl. Wirth/Leibenath 2017). Zum anderen können Probleme auf prozedu1Aus stilistischen Gründen wird in diesem Text bei Sammelbezeichnungen für nicht näher spezifizierte Personengruppen durchgängig das generische Maskulinum verwendet. Damit sind jedochausdrücklich Menschen jeglicher geschlechtlichen Orientierunggemeint.Raumforschung und Raumordnung Spatial Research and Planning (2021) 79/3: 228–242229

P. Thiele, M. LeibenathTabelle 1 Überblick über die ausgewählten Demokratie- und eDemokratietheorieDeliberative, tionale, technokratischePlanungstheorieKommunikative et sind oder aber keinen Planungsbezug aufweisen.Außerdem wird das Verhältnis von Planung zu Populismus– je nachdem, welcher theoretische Zugang gewählt wird –ganz unterschiedlich bewertet, zum Beispiel kritisch im Falle von Sager (2020) oder eher neutral im Falle von Griggsund Howarth (2008).Anknüpfend an diese Beobachtungen ist es Ziel diesesBeitrags, erstens mehrere kontrastierende demokratie- undplanungstheoretisch begründete Perspektiven auf das Phänomen ,Populismus und Planung‘ zu skizzieren. Dabei bilden Demokratietheorien gewissermaßen das Bindeglied derSystematisierung, weil sowohl Populismus- als auch Planungstheorien eng mit demokratietheoretischen Prämissenzusammenhängen. Diese Art von Theorievergleich ist einerseits unter planungswissenschaftlichen Gesichtspunktenrelevant: Indem wir aufzeigen, welche Art von Forschungsfragen sich aus den verschiedenen Perspektiven ergeben,kann unsere Gegenüberstellung dazu beitragen, die theoretische Fundierung zukünftiger empirischer Untersuchungenzu verbessern. Und andererseits stellen die theoretischenÜberlegungen Reflexionsangebote für die tägliche Planungspraxis dar, die sich mit populistischen Herausforderungenkonfrontiert sieht. Das zweite Ziel des Beitrags besteht daher darin zu zeigen, welche Implikationen sich aus den verschiedenen theoretischen Perspektiven für Planungspraxisund Planungsforschung ableiten lassen.Im Folgenden wird zunächst ein Überblick darüber gegeben, welche demokratie- und planungstheoretischen Perspektiven wir vergleichen und welche Vergleichsparameterwir heranziehen (Kapitel 2). In den anschließenden drei Kapiteln erörtern wir die verschiedenen Ansätze anhand dieserParameter. Im letzten Teil setzen wir die Perspektiven zueinander in Beziehung (Kapitel 6) und ziehen Schlussfolgerungen für Planungspraxis und Planungsforschung (Kapitel 7).2 Die gewählten Theorien und dieVorgehensweiseSowohl Demokratie- als auch Planungstheorien sind Gegenstand vielfältiger Systematisierungen (vgl. z. B. Hillier/Healey 2010; Lembcke/Ritzi/Schaal 2012; Allmendinger2017; Schmidt 2019). In diesem Beitrag konzentrierenwir uns auf drei demokratietheoretische Stränge, die daszeitgenössische Denken über Demokratie nachhaltig ge230prägt haben und sich stark voneinander unterscheiden. Außerdem weisen sie enge Bezüge zu verschiedenen Planungstheorien und Planungsverständnissen auf und bieten jeweilsspezifische Zugänge zu populistischen Phänomenen. Beiden drei Strängen handelt es sich um elitenorientierte, deliberative und radikale Demokratietheorien, die wir nachfolgend kurz vorstellen (vgl. Tabelle 1).Die elitenorientierte Spielart der Demokratietheorie wirdprominent von Joseph Schumpeter vertreten, der sich dabei unter anderem auf Max Weber bezieht. Demnach istDemokratie ein durch Wahl hervorgebrachtes repräsentatives Herrschaftssystem, in dem den demokratisch gewähltenPolitikern ein weitreichender Entscheidungsspielraum zukommt (Schumpeter 2018 [1942]: 386). Giovanni Sartori,der auf Schumpeters Ideen aufbaut und eine moderne liberale Elitentheorie entwickelte, spricht von Demokratie als„selektive[m] System konkurrierender gewählter Minderheiten [.], eine[r] selektive[n] Polyarchie“ (Sartori 1997:177). Diese elitentheoretischen Gedanken weisen Gemeinsamkeiten mit den frühen planungstheoretischen Überlegungen von Autoren wie Andreas Faludi (1973) zu rationalerPlanung auf. Das „Rationalitätsideal“ (Wiechmann 2019:5), das darin zutage tritt, ist auch für die heutige Planungspraxis noch von Bedeutung.Deliberative, beteiligungsorientierte Demokratietheoretiker, als deren einflussreichster Vertreter Jürgen Habermas gilt, postulieren, dass politische Fragen idealerweisedurch öffentliche „Prozeduren der Beratung und Beschlussfassung“ (Habermas 1992: 359) in machtfreien Räumengetroffen werden sollten, um einen gesellschaftlich akzeptierten Konsens herzustellen (Buchstein 2011: 322). DieseIdeen bilden den Ausgangspunkt vieler kommunikativer,partizipativer Planungstheorien (Healey 1992b; Healey1997; Forester 1999; Forester 2009).Eine der bekanntesten Varianten radikaler Demokratietheorie wurde von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe(2014) zunächst gemeinsam formuliert und in den letzten Jahren von Mouffe (2007, 2014) zum Konzept der„agonistischen Demokratie“ weiterentwickelt. Für sie istDemokratie der Kampf um Hegemonie zwischen politischen Gegnern und somit der Kampf um die Repräsentation bisher ausgeschlossener Gruppen (Mouffe 2014:184). Daran anschließend diskutieren wir radikale Demokratie- und Planungstheoretiker (Metzger 2018; Legacy/Metzger/Steele et al. 2019) anhand des Begriffs der PostRaumforschung und Raumordnung Spatial Research and Planning (2021) 79/3: 228–242

Wie mit Populisten umgehen? Demokratie- und planungstheoretische Perspektiven für Planungspraxis und .politik (Crouch 2008; Mouffe 2011; Blühdorn 2013) Defizite gegenwärtiger (liberaler) Demokratien und Planungssysteme, aber auch Möglichkeiten, diese neu zu beleben.Bei der Beschreibung und beim Vergleich dieser drei demokratietheoretischen Zugänge orientieren wir uns an mehreren Parametern. Dabei handelt es sich um das der jeweiligen Theorie zugrunde liegende Verständnis von Demokratie, von Bürgern und Partizipation, von Konflikt, von Machtund schließlich von Legitimation. Diese grundlegenden politikwissenschaftlichen Kategorien (vgl. Comtesse/FlügelMartinsen/Martinsen et al. 2019; Schmidt 2019: 514 ff.)werden im Hinblick auf Planungstheorien um die Fragenergänzt, welche Art von Problemen den Gegenstand vonPlanung bilden, worin Ziel und Wesen der Planung bestehen, mit welchen Technologien – im Sinne von Ansätzenund Verfahren – in der Planung typischerweise gearbeitetund wie die Rolle von Planern gesehen wird.nkurrierender gewählter Minderheiten“ oder „eine selektivePolyarchie“ (Sartori 1997: 177) sein solle. Damit meint ereine Herrschaft der ausgewählten Vielen, die in ihrer jeweiligen Einflusssphäre das politische Geschehen lenken.Bürgern kommt in diesem System lediglich die Aufgabezu, sich an den regelmäßig stattfindenden Wahlen zu beteiligen (Sartori 1997: 94). Weitergehende Beteiligungsformenwerden abgelehnt, weil es dem „typischen Bürger“ an politischem Sachverstand fehle: Der falle „auf eine tiefere Stufeder gedanklichen Leistung, sobald er das politische Gebietbetritt“ (Schumpeter 2018 [1942]: 355). Bürger stünden derPolitik generell fern (vgl. Schaal 2012: 455), was mangelndes Urteilsvermögen und Verantwortungsgefühl zur Folgehabe (Schumpeter 2018 [1942]: 354). Deswegen wird demFachwissen in Bürokratie und Politik und der Kompetenzgroße Bedeutung beigemessen, aber wenig Wert auf Bürgerbeteiligung gelegt.In diesem Zuge ist es kaum überraschend, dass politischeKonflikte vor allem im Hinblick auf die Führungsebene thematisiert werden: Streitfragen würden für das Volk, nichtdurch das Volk entschieden (Schumpeter 2018 [1942]: 358).Über die demokratischen Werte sollte nach Ansicht der Elitentheoretiker ein von möglichst vielen getragener Grundkonsens bestehen, denn andernfalls gerate die Demokratiein Gefahr (Schumpeter 2018 [1942]: 400). Insofern sindelitentheoretische Demokratiemodelle im Kern konsensorientiert. Konkrete politische Streitfragen sollen allein vonPolitikern durch Mehrheitsbeschlüsse entschieden werden.In Anlehnung an Max Webers Definition von Macht als„Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenenWillen auch gegen Widerstreben durchzusetzen,“ (Weber1990: 28) geht es hier vor allem um Macht über andere („power over“, Partzsch 2017: 200), also darum, sichin Konkurrenzsituationen gegenüber anderen zu behaupten(Schumpeter 2018 [1942]: 384; Schmidt 2019: 176).Elitentheoretische Demokratiemodelle gehen davon aus,dass sich die Legitimation politischer Entscheidungen inerster Linie aus deren Ergebnissen ergibt („Output-Legitimation“). Über den Mechanismus des Wettbewerbs ließensich die besten Politiker rekrutieren und durch den demokratischen Rechtsstaat könne die Fairness des Verfahrenssichergestellt werden (Schaal 2012: 452). Die von diesen„erlesenen Besten“ gefassten politischen Beschlüsse zeichneten sich dadurch aus, dass sie von der bürgerlichen Mehrheit befürwortet werden würden (Schaal 2012: 445).Indem Elitentheorien die Relevanz von Fach- und Führungspersonal betonen, beschränkte Beteiligungsformenfür Bürger vorsehen sowie Problemlösungsorientierungund Output-Legitimation hervorheben, weisen sie Gemeinsamkeiten mit rationalen Planungstheorien auf. DieArt von Problemen, auf die Planung gemäß diesem Planungsverständnis reagieren soll, sind primär administr3 Elitenorientierte Demokratietheorieund rationale, technokratischePlanungstheorieDie Entwicklung repräsentativer, liberaler Demokratienging während der Nachkriegszeit in vielen westlichenStaaten Hand in Hand mit dem Aufbau rationalistischerPlanungssysteme. Das Attribut ,elitenorientiert‘ mag indiesem Zusammenhang irritieren; aber wie wir im Folgenden zeigen, bezeichnet es eine wesentliche Gemeinsamkeit zwischen der entsprechenden Demokratietheorie undtechnokratischen, rationalistischen Planungsverständnissen.Genau an dieser Elitenorientierung setzte ab den 1980erJahren Kritik an, die zur Formulierung stärker deliberativ,kommunikativ und partizipativ ausgerichteter Demokratieund Planungstheorien führte (vgl. Kapitel 4). Planung iststets untrennbar mit politischen Entscheidungsverfahrenverwoben, weswegen Kühn (2020: 3) den Terminus „politics of planning“ verwendet und Planung in all ihrenPhasen als politischen Prozess betrachtet. Gleichzeitig müssen Pläne die geltenden Gesetze berücksichtigen, auf einersoliden, aktuellen Datengrundlage beruhen und mit anerkannten Verfahren gemäß dem Stand der Technik erstelltwerden. Daher bildet das Modell rationaler Planung, auchwenn es Züge eines „Mythos“ trägt, nicht ganz zu Unrechtseit Langem den „eigentliche[n] Kern des Selbstverständnisses von Planern“ (Wiechmann 2019: 4).Elitenorientierte Demokratietheoretiker stellen sich Demokratie als politisches System vor, in dem der gewählten Volksvertretung und der Verwaltung ein großes Maßan Verantwortung und Entscheidungsspielraum zugesprochen wird. Giovanni Sartori spricht in diesem Zusammenhang davon, dass „Demokratie [.] ein selektives System koRaumforschung und Raumordnung Spatial Research and Planning (2021) 79/3: 228–242231

P. Thiele, M. Leibenathativer und technischer Natur, beispielsweise überbordendeKosten, Funktionsschwächen technisch-praktischer Art oderInformationsdefizite (Faludi 1973: 106 f.). Das übergeordnete Ziel von Planung besteht demnach darin, technischund ökonomisch optimale Lösungen zu finden (Faludi 1973:51; 75 f.; Brand/Gaffikin 2007: 307; Wiechmann 2019: 5).Daher stellen faktenbasierte und rationale Abwägungen inForm von Kosten-Nutzen-Analysen, Modellierungen sowie„Versuch und Irrtum“ (Faludi 1973: 108 ff.) zentrale Technologien oder Instrumente rationaler Planung dar.Ähnlich der Vorstellung von Elitentheoretikern, der zufolge die Bürger lediglich das Führungspersonal wählen,nehmen diese in rationalen Planungstheorien allenfalls dieRolle von Informanten ein, die Kontextinformationen zurVerfügung stellen, darüber hinaus aber nicht an Planungsprozessen beteiligt werden (Faludi 1973: 120). Im Gegensatz dazu sind Planer wissenschaftlich geschulte Fachleute,die über Fakten- und Methodenwissen verfügen (Allmendinger 2017: 70). Solchen Planerpersönlichkeiten „steht die Politik im Weg“ (Forester 1982: 69). Denn für Politik sind Aushandlungsprozesse und Entscheidungsfindungen zwischenverschiedenen Akteuren üblich und notwendig. Für rationale Planung hingegen sind Aushandlungen entbehrlich, dasich optimale Lösungen allein durch Anwendung geeigneter fachlich-technischer Methoden ermitteln lassen (Forester1982: 69).Was folgt daraus für den Umgang mit populistischenPhänomenen? Innerhalb dieser theoretischen Perspektivestehen Planer in einem potenziell ambivalenten Verhältniszu populistischen Akteuren: Sie können sie als Störfaktorzurückweisen oder sich – in Anbetracht der von beidenGruppen geteilten antipolitischen Grundhaltung – mit ihnen verbünden. Denn einerseits stellen Populisten, die demokratische Spielregeln missachten oder gar außer Kraftsetzen wollen, aus elitenorientierter Perspektive eine Gefahr dar: Der Verführung des Volkes durch antipluralistischeLeitgedanken müsse eine Wählerschaft und ein Parlamentmit genügend hohem intellektuellem und moralischem Niveau gegenüberstehen, um die Demokratie zu verteidigen(Schumpeter 2018 [1942]: 398). So gesehen werden populistische Anliegen als störend und demokratiegefährdendwahrgenommen. Und umgekehrt können die Vertreter einer problemorientierten, rationalen und gesetzeskonformenPlanung leicht zum Angriffsziel von Populisten werden.Andererseits könnte es jedoch auch zum Schulterschlusszwischen Populisten und rationalistisch orientierten Planernkommen, weil beide eigentümlich apolitisch sind (Bickerton/Invernizzi Accetti 2017: 326 f.). Während PopulistenAnspruch erheben zu wissen, was das ,wahre‘ Gemeinwohl sei, neigen Experten aufgrund ihrer fachlichen Ausbildung leicht dazu, für sich zu beanspruchen, ,bessere‘Entscheidungen treffen zu können. Populisten und Tec232hnokraten können gleichermaßen schlecht mit Meinungsvielfalt und Opposition umgehen. Tendenziell betrachten sie ihre Gegner wahlweise als „Feinde des Volkes“oder als „Feinde der Wahrheit“ (Moore/Invernizzi-Accetti/Markovits et al. 2020: 735). Populismus und Technokratiesind somit „ihrer inneren Logik nach antipluralistisch“.Sie sind nicht auf eine demokratische Diskussionskulturangewiesen oder verachten diese gar, „denn die richtigeAntwort steht ja ohnehin bereits fest“ (Müller 2016: 70).4 Deliberative, beteiligungsorientierteDemokratietheorien undkommunikative PlanungstheorieIn den letzten Jahrzehnten konnte man eine geradezu explosionsartige Verbreitung neuartiger Beteiligungs- und Kooperationsformate in der räumlichen Planung beobachten:Leitbildprozesse, Planungszellen, Landschaftswerkstätten,kooperative Stadtentwicklung und Governance lauten einige der entsprechenden Stichworte. Auch in weiten Bereichen der formalen Planung gehört Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung mittlerweile zum Standard und ist gesetzlich verankert. Damit haben Gesetzgeber und Planungsgremien auf die Mitwirkungsansprüche der Bürger reagiert, dieseit der „partizipatorischen Revolution“ (Blühdorn 2013:152) der 1960er- und 1970er-Jahre kontinuierlich gestiegensind. Diese planungspraktischen Entwicklungen korrespondieren mit deliberativen, beteiligungsorientierten Demokratie- und Planungstheorien, auf die wir im Folgenden eingehen.Die Idee der Verständigung durch rationalen und herrschaftsfreien Diskurs bildet die Grundlage deliberativerDemokratietheorien. Habermas (1992: 365) spricht davon,dass sich Demokratie durch „ein[e] dezentriert[e] Gesellschaft“ auszeichnet, „die allerdings mit der politischenÖffentlichkeit eine Arena für die Wahrnehmung, Identifizierung und Behandlung gesamtgesellschaftlicher Probleme”hervorbringt. Deliberation ist eine Prozedur der Beratschlagung, die öffentlich sowie frei von Macht und Gewalt,zwischen gleichberechtigten Teilnehmenden, offen für alleProbleme und Fragestellungen und unter Berücksichtigungpotenziell aller gesellschaftlichen Gruppen, Perspektivenund Argumente verläuft (Landwehr 2012: 362). Das bedeutet, dass alle Bürger politische Prozesse und Diskussionenmitgestalten dürfen und sollen, oder anders gesagt: Jederdarf und soll mitreden. Damit ist Demokratie im deliberativen Modell tendenziell basisdemokratisch angelegt.Bürger werden als kommunikativ kompetent und alslernbereit eingeschätzt. Ihre politischen Überzeugungengelten als aufklärungsbedürftig und -fähig. Das wirksamsteMittel zum Austausch von Positionen stellt die politisRaumforschung und Raumordnung Spatial Research and Planning (2021) 79/3: 228–242

Wie mit Populisten umgehen? Demokratie- und planungstheoretische Perspektiven für Planungspraxis und .che Kommunikation der Bürger untereinander dar (Buchstein 2011: 321). Weiterhin wird angenommen, dass sie gemeinwohlorientiert handeln (Landwehr 2012: 360 f.). DieseAnnahme beruht auf der Idee des „zwanglosen Zwangs desbesseren Arguments“ (Habermas 1992: 370). Damit wirddie Vermutung ausgedrückt, dass sich in deliberativen Kommunikationsprozessen solche Argumente durchsetzen werden, die dem Gemeinwohl und nicht Partikularinteressendienen. Streng genommen gehen deliberative über rein beteiligungsorientierte Demokratietheorien hinaus: Sie setzenbreite Beteiligung voraus, aber verlagern den Fokus von derÖffnung auf die Organisation von Entscheidungsprozessen(Blühdorn 2013: 85).Konflikte, gegensätzliche Anliegen und widerstreitendeÜberzeugungen bilden den Ausgangspunkt von Deliberationsprozessen. Laut Habermas müssen Konflikte in modernen, komplexen Gesellschaften kommunikativ bewältigtwerden. Die kooperative und gewaltfreie Regelung des Zusammenlebens stelle einerseits „Solidarität unter Fremden“her und gewährleiste andererseits das Recht, „füreinanderFremde zu bleiben“ (Habermas 1992: 374). Im Laufe derVerständigung sollen gemeinsame Interessen durch denAustausch von Argumenten gefunden werden, damit einevon allen Beteiligten getragene Lösung möglich wird (Habermas 1992: 386). Ziel von Deliberation ist daher dieHerstellung von Konsens.Mit der Kategorie ,Macht‘ verbinden deliberative Demokratietheoretiker sowohl negative als auch positive Aspekte.Einerseits gilt Macht im Weber’schen Sinne als verzerrender Einfluss, den es zugunsten einer weitreichenden und inklusiv angelegten Verständigung zwischen den Beteiligtenzu minimieren gilt. Andererseits ist Macht in Anlehnung anHannah Arendt auch die Fähigkeit, gemeinsam zu handeln(Habermas 1992: 183 f.; Iser/Strecker 2010: 118 f.). Durchdie Deliberation wird kommunikative Macht erzeugt, dieinsofern produktiv ist, als dass sie gemeinschaftliches Handeln ermöglicht und dazu beiträgt, neue Wirklichkeiten zuerschaffen („power with“/„power to“, Partzsch 2017: 200).Legitimität wird durch den Deliberationsprozess als solchen erzeugt, wie Habermas (1992: 367) unterstreicht: „Diedeliberative Politik gewinnt ihre legitimierende Kraft ausder diskursiven Struktur einer Meinungs- und Willensbildung, die ihre sozialintegrative Funktion nur dank der Erwartung einer vernünftigen Qualität ihrer Ergebnisse erfüllen kann.“ Das bedeutet, dass Deliberation zwar hauptsächlich input- und throughput-orientiert, aber auch auf einenentsprechenden Output angewiesen ist. Die Bedeutung vonBeteiligung liegt auf der Hand (input). Darüber hinaus mussdas Verfahren den deliberativ-demokratischen Ansprüchenentsprechen (throughput); und schließlich legitimiert sichder Prozess auch über Ergebnisse, die im Idealfall von allen Beteiligten anerkannt werden (output).Raumforschung und Raumordnung Spatial Research and PlanningDas planungswissenschaftliche Pendant deliberativer Demokratietheorien ist in kommunikativen Planungstheorienzu finden. Ausgangspunkt kommunikativer Planung ist dieFeststellung, dass rationale Planungsansätze oftmals nurschwach normativ fundiert sind (Allmendinger 2017: 241)und soziale Ungerechtigkeit als Nebenprodukt von rationaler Planung entstehen kann (Brand/Gaffikin 2007: 288;Zimmermann 2019: 18). Im Kern adressieren kommunikative Planungstheoretiker verschiedene Formen von Gerechtigkeit. Einerseits geht es ihnen um Verfahrensgerechtigkeit, also darum, im Vorfeld Regeln für die Teilnahmean kommunikativen Planungsprozessen festzulegen, sodasssich die Teilnehmer idealerweise im Ergebnis auf eine Lösung einigen können (Sager 2018: 93). Andererseits stehtVerteilungsgerechtigkeit im Fokus, die insbesondere für dieTätigkeit von Planern relevant ist, da diese eine Vermittlerrolle zwischen verschiedenen Interessen einnehmen (Healey 2003: 104; Allmendinger 2017: 264). Weiterhin spieltdas Konzept der „Gerechtigkeit als Anerkennung“ (Honneth2004) eine wichtige Rolle, weil es auch darum geht, diversePerspektiven anzuerkennen und die Anliegen marginalisierter Gruppen einzubeziehen (Innes/Booher 2015: 201 ff.).Kommunikative Planungstheoretiker lassen sich aber auchvon der Annahme leiten, dass Deliberation und das Bewusstsein für Gerechtigkeitsprobleme zu sachlich-materiellbesseren Lösungen führen, weil lokales Wissen in den Planungsprozess einfließt und kollektive Lernprozesse begünstigt werden (Innes/Booher 2016: 9).Planung sollte dementsprechend allen Stimmen Gehörverschaffen und unterschiedliche Perspektiven zur Geltungbringen, um bedarfsorientiertere Planungsergebnisse zu erzielen (Forester 2012: 24). Genau

Wie mit Populisten umgehen? Demokratie- und planungstheoretische Perspektiven für Planungspraxis und . 1 Einleitung Räumliche Planer1 sind in ihrer Arbeit mehr und mehr mit dem Erstarken populistischer Kräfte innerhalb der Gesell-schaft konfrontiert – in vielen Teilen der Welt. Dazu zählen in den USA die Tea-Party-Bewegung und große .