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Schicht fürSchicht gesundEine Handlungshilfe fürUnternehmen und Führungskräfte
VorwortLiebe Leserinnen und Leser Menschen, die Schichtarbeitleisten, sind für unsere Gesellschaft unentbehrlich. So arbeiten Schichtarbeiterinnen und Schichtarbeiter in Bereichenrund um die Uhr, etwa an Flughäfen, in Krankenhäusern,Hotels, bei der Feuerwehr oder in der Chemiebranche.Im Schichtdienst zu arbeiten, kann für Körper und Psyche jedoch auch eine erhebliche Belastung darstellen. Da Menschengrundsätzlich als tagaktiv gelten, arbeiten Schichtbeschäftigte häufig gegen den Rhythmus ihrer inneren Uhr. Verschiedene Studien zeigen, dass Beschäftigte, die in Schichtenarbeiten, ihren Gesundheitszustand subjektiv schlechtereinschätzen und häufiger über gesundheitliche Beschwerdenklagen als Beschäftigte mit regulären Arbeitszeiten.Schicht für Schicht gesund – Eine Handlungshilfe für Unternehmen und Führungskräfte Herausgeber: Techniker Krankenkasse, Unternehmenszentrale,22291 Hamburg; Internet: tk.de; Geschäftsbereich Markt und Kunde, Gesundheitsmanagement, Dr. Sabine Voermans. Autoren: Stefan Reuyß,Alexander Hundt (SoWiTra); Fachliche Beratung: Dr. Frank Meissner. Redaktion: Anne Frobeen, Planung und Koordination: Wiebke Arps, Sabine König.Gestaltung: The Ad Store GmbH, Art Director: Arman Mobeseri, Beratung: Micaela Berger, Produktion: Oliver Kühl. Fotos: Getty Images, Plainpicture, Masterfile,Mauritius Images, Stocksy, Druck: Aumüller Druck GmbH & Co. KG, Regensburg. Techniker Krankenkasse. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung. 2. aktualisierte Auflage 2020.Die Darstellung der unterschiedlichen Aspekte im Hinblick auf das Leben mit Schichtarbeit kann im Rahmen dieser Broschüre nur allgemeiner Art sein. Zuunterschiedlich sind die verschiedenen Schichtsysteme sowie die branchen- und unternehmensspezifischen Besonderheiten. Mit „Schichtarbeitende“ sindim Folgenden diejenigen gemeint, die überwiegend oder ausschließlich in Schichtsystemen arbeiten.Alle in der Broschüre enthaltenen Zitate von Beschäftigten und Führungskräften sind authentisch.Für eine bessere Lesbarkeit wird im Folgenden auf die Unterscheidung in eine männliche und eine weibliche Form verzichtet. Selbstverständlich sind hierFrauen und Männer gleichermaßen angesprochen.Jeder kann selbst viel dafür tun, um gesund zu bleiben. AberArbeitgeber tragen auch gemeinsam mit ihren BeschäftigtenVerantwortung für deren Gesundheit. Sie können zum Beispiel Arbeitsbedingungen und Schichtpläne nach arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen ergonomisch gestalten. Undauch die Führungskräfte spielen eine Schlüsselrolle.Diese Broschüre zeigt Ihnen überschaubar und praxisnah, wieSie als Unternehmen Ihrer Verantwortung gerecht werdenund für gesundheitsgerechte Arbeitsbedingungen auch inder Schichtarbeit sorgen können. Wir wünschen Ihnen eineanregende Lektüre.Dr. Sabine VoermansLeiterin Gesundheitsmanagement
Gesundheitsförderungfür SchichtarbeitendeGesundheitsangebote müssen den besonderen Bedarf der Schichtarbeitenden berücksichtigen.Seite 3852Schichtarbeit undGesundheitSchicht- und Nachtarbeit wirken sich auf denganzen Körper aus.Seite 12InhaltFührung und Kommunikationbei SchichtarbeitSchichtarbeitende zu führen, ist in mehrfacher Hinsichtanspruchsvoll.Seite 443 Alles was Recht ist1 Leben und Arbeiten in Schichten78911Wechselnder RhythmusSchichtarbeit: belastend für die GesundheitGesundheitsschutz im UnternehmenSchichtarbeit altersgerecht gestalten2 Schichtarbeit und Gesundheit131516161617181920Die innere UhrSchichtarbeit gesundheitsgerecht gestaltenDauernachtschicht ist schädlichDer Magen hat nachts freiAuch der Kopf ist nachts weniger fitWeitere mögliche GesundheitsproblemeErhöhtes Unfallrisiko auf SchichtFamilie und Freunde fördern die GesundheitÄlter werden mit Schichtarbeit242525252525252627Nachtarbeit: Besondere Schutzregelungen imArbeitszeitgesetzKürzerer AusgleichszeitraumMedizinischer Check-upFörderung der VereinbarkeitAusgleich für NachtarbeitKeine AltersgrenzeBesondere RegelungenSchichtarbeit und flexible ArbeitszeitenSchichtarbeit ist mitbestimmungspflichtig4 Schichtarbeit gesundheitsgerecht gestalten292930Schichtsysteme ergonomisch planenArbeitswissenschaftliche EmpfehlungenSozialverträglichkeit verbessern66 Führung und Kommunikation bei Schichtarbeit 454649Kommunikation gestaltenBelastungen verringernAbhilfe schaffen bei Belastungen7 Gesundheitsgerechte Schichtsysteme einführen515252545456Schichtsysteme verändernSchritt für Schritt oder großer WurfWiderstände überwindenPotenzial für konstruktive LösungenBeteiligung anderer AkteureSystematisch vorgehen8 Literatur- und Linktipps
16 Schichtarbeit – Leben und Arbeiten in SchichtenLeben undArbeiten inSchichtenFast sechs Millionen Erwerbstätige arbeiten mittlerweileregelmäßig in Schichten – Tendenz steigend. ImmermehrBetriebe werden deshalb vor die Aufgabe gestellt,Schichtarbeit gesund zu gestalten.7Wechselnder RhythmusArbeit in Schichtsystemen ist für viele Menschen Teil ihres Alltags.Das Familienleben und die Freizeitplanung von Schichtbeschäftigtensind stark vom Rhythmus der Arbeit geprägt. Auch das Privatlebenläuft nach Schichtplan.In vielen produzierenden Unternehmenist Schichtarbeit unverzichtbar für denProduktionsablauf. Im Gesundheitswesen sorgen Schichtsysteme dafür, dassdie medizinische Versorgung gesichertist. Beschäftigte bei Polizei und Feuerwehr schützen und helfen Tag undNacht. Mitarbeiter im öffentlichenDienst fahren Bahnen und Busse, kümmern sich um die Wasserversorgungoder saubere Straßen – rund um dieUhr. In fast allen Lebensbereichen sindLeistungen, die in Schichtarbeit, Nachtund Wochenendarbeit erbracht werden, nicht mehr wegzudenken.Von „Schichtarbeit“ ist die Rede, wennArbeit entweder zu wechselnder Zeit– etwa in Wechselschicht – oder zukonstanter, aber ungewöhnlicher Zeitgeleistet wird, zum Beispiel bei der Dauernachtschicht. Von „Schichtarbeit“spricht man auch, wenn verschiedeneArbeitnehmer die gleiche Tätigkeit abwechselnd zu unterschiedlichen Tageszeiten ausführen.2017 arbeiteten etwas mehr als 20,7Millionen Erwerbstätige in Deutschlandständig, regelmäßig oder gelegentlicham Wochenende, in der Nacht und/oder in Wechselschichten. Das sind über47 Prozent der Erwerbstätigen. Im Jahre1996 waren es mit rund 17 Millionen nur38 Prozent. Die Zahl derer, die in 2019ständig beziehungsweise regelmäßigSchichtarbeit leisten, liegt bei etwasüber 7,2 Millionen Erwerbstätigen.Regelmäßige Schichtarbeit ist unterabhängig beschäftigten Männern stärker verbreitet als unter Frauen. Rund17,2 Prozent der Männer arbeiteten2019 in Wechselschicht, aber nur knapp13,9 Prozent der Frauen. Der Abstandzwischen Frauen und Männern hat sichin den letzten Jahren jedoch verringert:auf 3,3 Prozentpunkte im Jahr 2019.
8 Schichtarbeit – Leben und Arbeiten in Schichten9Ein wesentlicher Grund für die Zunahme von Schichtarbeit istder steigende Bedarf an einem 24-Stunden-Service im Dienstleistungsbereich. Auch technische oder finanzielle Notwendigkeiten erfordern einen kontinuierlichen Produktionsbetrieb inSchichten. Darüber hinaus bringen neue Produktionsmethoden und die Flexibilisierung der Arbeitszeit oft Schichtarbeitmit sich.Oft ist es für Unternehmen nicht schwer, Mitarbeiter zu finden, die zum Schichtdienst bereit sind. Viele Männer schätzenvor allem die spürbare Lohnsteigerung durch die gezahltenSchichtzuschläge. Bei Frauen steht häufig die Vereinbarkeitvon Beruf und Familie im Vordergrund. Gerade alleinerziehende Mütter arbeiten gerne in der Nachtschicht, um ihre Kindertagsüber wenigstens für einige Stunden betreuen zu können.Nicht immer sind sich Schichtarbeitende dabei der Gefahrenbewusst, die Arbeiten in wechselnden Schichten für die Gesundheit haben können.Schichtarbeit: belastend für die Gesundheit Schichtarbeitist nicht nur anstrengend, sondern belastet viele Menschenlangfristig auch gesundheitlich. Die Arbeit in Schichten wirktsich auf körperliche Prozesse wie etwa den Schlaf aus.Schichtarbeiter – besonders Nachtschichtarbeiter – leiden oftunter Schlafstörungen. Sie schlafen schlechter oder zu wenig.Schlafstörungen können weitere gesundheitliche Auswirkungen haben und zu Konzentrationsschwäche und Nervositätführen. Auch Appetitlosigkeit und Magenbeschwerden können die Folge sein. Darüber hinaus hat Schichtarbeit auchKonsequenzen für das Sozial- und Privatleben.Schichtarbeiter, vor allem diejenigen, die in Nacht- oderWechselschichten arbeiten, müssen daher besonders auf ihreGesundheit achten. Auf einige Faktoren haben sie ganz persönlich Einfluss, wie zum Beispiel auf Schlaf, Ernährung undBewegung. Andere Faktoren, wie etwa die Schichtplangestaltung, lassen sich nur verbessern, wenn Arbeitgeber, Beschäftigte und Arbeitnehmervertreter zusammenarbeiten.Gesundheitsschutz im Unternehmen Die Gesundheit derMitarbeiter und die Gesundheit des Unternehmens stehen nichtim Widerspruch zueinander. Mit ergonomischen Schichtsystemen gelingt es, beides zu verbinden. Arbeitsmedizinerhaben beispielsweise herausgefunden, dass Dauer, Lage undVerteilung der Arbeitszeit das Unfallrisiko am Arbeitsplatzbeeinflussen. Durch besonders schwierige oder belastendeArbeitsbedingungen wie körperlich anstrengende Arbeit,Lärm, Monotonie und fehlendeSelbstbestimmung am Arbeitsplatz können sich Gesundheitsgefährdungen ergeben. Wernachts arbeitet, hat ein zusätzlich erhöhtes Unfallrisiko.Schichtarbeit in Verbindung mit Nachtarbeit stellt besondere Herausforderungen an die Arbeitszeitgestaltung. Wesentliche Aufgabe der Schichtplangestaltung im Unternehmen ist es, die gewünschteBetriebszeit zu ermöglichenund gleichzeitig den Gesundheitsschutz und die individuellen Wünsche der Beschäftigten zu berücksichtigen.Dafür gilt es, Arbeitsbedingungen und Belastungenentsprechend anzupassenund außerdem die Bedingungen für die Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf zu verbessern. Es gibt viele Stellschrauben, mit denen die Bedingungen von Schichtarbeit positivbeeinflusst werden können.23 Millionen Beschäftigtearbeiten regelmäßig odermanchmal in Schichten.Jedes Unternehmen, dasMitarbeiter im Schichtbetrieb beschäftigt, muss daher wissen: Schichtarbeit kannkrank machen. Allen Arbeitgebern sollte bewusst sein, dassSchichtarbeit von vielfältigen Vorsorgemaßnahmen für dieschichtarbeitenden Mitarbeiter begleitet werden muss.
10 Schichtarbeit – Leben und Arbeiten in Schichten11Regelmäßige Pausen amArbeitsplatz erhalten dieLeistungsfähigkeit.Praxisbeispiel In der Fachklinik Reha-Zentrum Lübben werden Gesundheitsworkshops genutzt, um Belastungen zu erkennen und Verbesserungen zu erarbeiten. In den Workshopskommen Mitarbeitende aus der gleichen Abteilung oder ausvergleichbaren Abteilungen zusammen und diskutieren Arbeitsbedingungen und mögliche Ursachen für Belastungen– innerhalb der regulären Arbeitszeit der Beschäftigten undin mehreren Phasen. Auf diese Weise kommen übergreifendeArbeitsbedingungen und Verhaltensweisen ans Licht, die dieGesundheit beeinflussen. Die Fachklinik Reha-Zentrum Lübbensieht dabei die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Expertenfür ihre jeweilige Tätigkeit an, die ihre Arbeitsbedingungenmit allen Belastungen und Problemen am besten einschätzen können. Sie kennen außerdem auch bisher nicht ausgeschöpfte gesundheitsförderliche Reserven und Potenzialeihrer Tätigkeit. Anhand der Ergebnisse aus den Gesundheitsworkshops hat die Fachklinik bedarfsgerechte Angebotezur betrieblichen Gesundheitsförderung entwickelt, zumBeispiel rund um die Themen Stressvermeidung und ergonomisches Arbeiten.Schichtarbeit altersgerecht gestaltenFür Unternehmen ist es ein Ziel und eineHerausforderung, die Gesundheit derMitarbeiter bis zur Rente zu erhalten.Durch den demografischen Wandel,der die Gesellschaft grundlegend verändert, gewinnt diese Zielsetzung anBedeutung. In den nächsten zehn bis15 Jahren wird es einen spürbarenRückgang der jungen Bevölkerung undzugleich einen steigenden Bedarf angut qualifizierten Fachkräften geben.Der Anteil älterer Arbeitnehmer an dererwerbstätigen Bevölkerung nimmtimmer mehr zu und steigt auch bei denschichtarbeitenden Beschäftigten.Schichtsysteme müssen deshalb gezielt an die Leistungsfähigkeit ältererMitarbeiter angepasst werden. LängereArbeitsphasen sollten vermieden undkürzere Arbeitsphasen, gefolgt vonErholungspausen, eingeführt werden.Kreative Lösungen sind gefragt, diedazu beitragen, Schichtarbeit altersgerechter zu gestalten.Für eine altersgerechte Schichtplangestaltung sind vier Zielsetzungen wichtig: der Arbeit ein gesundes Maß geben, die Arbeitsfähigkeit fördern underhalten, Gesundheitsvorsorge für alle Altersund Beschäftigtengruppen anbieten, Zukunftsperspektiven für ältereMitarbeiter schaffen.Diese Ziele können vorbeugend unddurch organisatorische Anpassungenbeziehungsweise Qualifikationsmaßnahmen umgesetzt werden. Mehr dazuab Seite 28.Eine Aufgabe von Führungskräften istes, diese Aspekte in Gesprächen mitMitarbeitenden herauszuarbeiten.Hierzu gehören neben beruflichen Zielen und Wünschen auch private Vorhaben, die mittel- und langfristig bei denSchichtplanungen Berücksichtigungfinden sollten. Wenn sich alle Akteureim Betrieb verständigen, stehen dieChancen gut, gemeinsam tragfähigeLösungen zu finden, von denen alle Beteiligten profitieren.
12 Schichtarbeit – Schichtarbeit und Gesundheit132auf Aktivität programmiert ist. Wer nachts arbeiten muss,arbeitet gegen den natürlichen Biorhythmus an. Der Rhythmus unserer inneren Uhr ist nicht umkehrbar – auch nichtdurch Nachtarbeit. Daher ist es nicht möglich, den Körper anNachtarbeit zu gewöhnen.Wenn Menschen, die zu normalen Bürozeiten arbeiten, den Pyjama anziehen, machen sich Nachtarbeiter auf den Weg zur Arbeit. Doch der Mensch ist vonNatur aus tagaktiv. Das Arbeiten gegen die innere Uhr undganz besonders das Arbeiten in der Nacht sind für den Körpereine besondere Belastung. In der Arbeitsmedizin ist das heute unstrittig und durch zahlreiche wissenschaftliche Studienbelegt. Doch was genau passiert im Körper? Wie funktioniertdie innere Uhr?Die innere Uhr Unsere innere Uhr gibt uns vor, am Tag wachzu sein und in der Nacht zu ruhen. Viele Körperfunktionensind eng an diese innere Uhr gekoppelt: zum Beispiel Körpertemperatur, Verdauung und Regeneration, aber auch die Abfolge von Leistungshochs und -tiefs.Schichtarbeitund GesundheitNachtarbeit ist eine große Herausforderung fürden Körper. Denn unser Biorhythmus ist auf denTag gepolt. Das gilt für das Wachsein ebenso wiefürs Essen und die Konzentrationsfähigkeit.Im Rhythmus von circa 24 Stunden passt die innere Uhr unsere Körperfunktionen der jeweiligen Tageszeit und den damit verbundenen Anforderungen an. Man spricht daher vom„circadianen Rhythmus“. „Circadian“ bedeutet „ungefähr einTag“. Der Begriff leitet sich von vom lateinischen „circa“ ungefähr und „dies“ Tag ab. Der Circadianrhythmus ist dertägliche Taktgeber des Menschen. Er ist angeboren undschaltet den Körper mit seinen vielen Körperfunktionen tagsüber auf Leistungsbereitschaft, in der Nacht auf Erholungund Ruhe.Wenn man um diese biologischen Grundlagen weiß, kann mansich leicht vorstellen, was passiert, wenn man arbeitet, obwohl der Körper eigentlich auf Erholung eingestellt ist. Oderwenn man sich in den Zeiten erholen will, in denen der KörperWarum wir nachts besser schlafen als tagsüber Zwischen22 und 24 Uhr stellt der Körper auf Schlaf um: Einschlafzeit.Die Produktion von Adrenalin lässt nach, Herzschlag, Atmungund Körpertemperatur werden heruntergefahren – wir werden schläfrig. Ab 22 Uhr fällt die Leistungsfähigkeit unter denTagesdurchschnitt. Gegen drei Uhr laufen alle Körperfunktionen auf Sparflamme. Die Pulsfrequenz beträgt nur nochrund 50 Schläge pro Minute, die Leistungsfähigkeit hat mitcirca 50 Prozent ihren Tiefpunkt erreicht.Der Mensch kann beschließen, nachts aktiv zu werden undseine innere Uhr zu ignorieren. Doch das hat Folgen. Der Körper bleibt beim angeborenen 24-Stunden-Rhythmus. Morgens werden pünktlich die „Aufstehhormone“ ausgeschüttet,auch wenn wir von der Nachtschicht kommen und eigentlichschlafen wollen. Das Leistungstief kommt um drei Uhr, egal,ob wir im Bett liegen oder an der Maschine stehen. Wernachts die gleiche Arbeitsleistung bringen will wie am Tag,muss sich durch die verminderte Leistungsbereitschaft seines Körpers mehr anstrengen – das kostet zusätzliche Energie und kann auf Dauer auch die Gesundheit beeinträchtigen.
14 Schichtarbeit – Schichtarbeit und Gesundheit15Sieben Stunden Schlafsollte man schon haben.Gut zu wissen!TK-Studie „Schlaf gut,Deutschland“Guter Schlaf ist nicht selbstverständlich.Vor allem Berufstätige, die unregelmäßigeArbeitszeiten haben oder im Schichtdiensttätig sind, kennen das Problem, nicht soeinfach zur Ruhe zu kommen. Dabei ist ausreichend Schlaf wichtig für die Gesundheit.Studien zeigen, dass schlechter Schlaf zueiner geringeren Leistungsfähigkeit führt.Langfristig kann dies sogar das Risiko erhöhen,einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zuerleiden. Daher sollte auch das Thema SchlafBestandteil des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) sein.Wie schlafen die Deutschen? Warum schlafensie schlecht? Was hilft besser zu schlafen?Diesen und weiteren Fragen ging das Meinungsforschungsinstitut Forsa in der Studie„Schlaf gut, Deutschland“ im Juli 2017 auf denGrund. Im Auftrag der TK wurde ein repräsentativer Querschnitt der Erwachsenen in Deutschlandzu ihrem Schlafverhalten befragt. Die vollständige Studie finden Sie unter der Suchnummer2033558 auf firmenkunden.tk.deViele Schichtarbeiter, vor allem Nachtarbeitnehmer, haben mit dem SchlafenProbleme. Kein Wunder, schließlich istder Organismus auf Wachsein am Tageund auf Schlafen in der Nacht programmiert – da fällt es schwer, tagsüber dieAugen zuzubekommen. Neben der inneren Uhr behindern den TagschläferStörungen durch Lärm, Tageslicht unddie höheren Temperaturen beim Einund Durchschlafen. Die Folge: Nach einer Nachtschicht ist der Schlaf meistkürzer. Viele Nachtarbeiter leiden unterpermanentem Schlafentzug und chronischer Müdigkeit. Im Vergleich zurdurchschnittlichen Schlafdauer vonTagarbeitern ist ihr Schlafzyklus umzwei bis vier Stunden verkürzt. DerSchlaf am Tag ist störanfälliger, immervon Unterbrechungen bedroht und nicht so tief wie derNachtschlaf. Untersuchungen im Schlaflabor haben ergeben,dass der lärmgestörte Tagschlaf im Vergleich zum ruhigenNachtschlaf nicht nur kürzer ist, sondern auch kürzere Tiefschlafphasen hat. Entscheidend für die körperliche Erholungbeim Schlafen sind jedoch gerade die Anzahl und die Dauerder Tiefschlafphasen.Störungen des Tagschlafs können langfristig negative gesundheitliche Folgen haben. So klagen Schichtarbeiter undSchichtarbeiterinnen mitlärmgestörtemTagschlaf häufiger über MagenDarm-Beschwerden alssolc he, die tagsüberweitgehend ungestörtschlafen können. Daherist es für schichtarbeitende Mitarbeiter und Mitarbeiterinnenwichtig, sich für den Schlaf am Tag eine optimale Umgebungzu schaffen, zum Beispiel ein ruhiges, kühles und dunklesSchlafzimmer.Müdigkeit und Schlafmangel wirken sich zudem negativ aufdie körperliche und geistige Leistungsfähigkeit aus. Die verminderte Leistungsfähigkeit führt sowohl zu mehr Fehlern alsauch zu langsameren Reaktionen. Daraus können sich je nachTätigkeit erhebliche Risiken ergeben, zum Beispiel für Unfälle(siehe auch Seite 18).Nicht alle Menschen haben gleichermaßen Probleme mit denAuswirkungen der Schichtarbeit. Ausgeprägte Abendtypen,die sogenannten Eulen, gehen gerne spät zu Bett, schlafendafür morgens eher lange. Sie kommen besser mit Schichtarbeit klar als Morgentypen. Diese sogenannten Lerchen stehengerne früh auf, sind früh aktiv und gehen abends früh ins Bett.Schichtarbeit gesundheitsgerecht gestalten Nicht nuraus rechtlichen Gründen sollten Arbeitgeber Schichtarbeit sogestalten, dass sie arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissenentspricht und die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglichst wenig belastet. Eineergonomische Arbeitszeitgestaltung, welche die natürlichenVoraussetzungen des Menschen berücksichtigt, liegt auch imInteresse des Unternehmens. Ein ergonomischer Schichtplangeht in der Regel mit einer Produktionssteigerung und einerbesseren Kostenentwicklung einher. Nur gesunde und zufriedene Mitarbeiter sind motiviert, engagiert, leistungsfähigund auch leistungsbereit.Generell gilt zwar: Atypische Arbeitszeiten beeinträchtigendie Gesundheit. Doch Schichtarbeit ist nicht allein für gesundheitliche Folgen verantwortlich – die individuellen Arbeitsund Lebensbedingungen spielen eine ebenso große Rolle.Hier sind beide Seiten gefordert: Arbeitgeber und Beschäftigte.Tagschlaf muss vorLärm geschützt werden.Den idealen Schichtplan für alle gibt esnicht. Es gibt jedoch arbeitswissenschaftliche Empfehlungen, die die Richtung fürgute Schichtpläne anzeigen. Wir habenIhnen diese Empfehlungen ab Seite 28 zusammengestellt.Im Folgenden finden Sie eine kurze Zusammenstellung undVorausschau der wichtigsten Ansatzpunkte und möglicherMaßnahmen.
16 Schichtarbeit – Schichtarbeit und Gesundheit17Dauernachtschicht ist schädlich Die Schädlichkeit von Dauernachtschicht ist unstrittig. Sie sollte als Vollzeittätigkeit unbedingt vermieden werden. Durch kurze Nachtschichtblöckeoder eingestreute vereinzelte Nachtschichten lassen sich dieFolgen der Verschiebung von Tag- und Nachtrhythmus ambesten reduzieren. Das Schichtsystem sollte vorwärts rotieren, also von der Früh- auf die Spätschicht wechseln und nichtumgekehrt. Der Vorwärtswechsel kommt dem biologischenRhythmus besser entgegen und sollte insbesondere bei derNeueinführung von Schichtsystemen beachtet werden.Die Arbeitswissenschaften empfehlen kurze Schichtwechsel.Das führt zu Schichtplanmodellen, in denen täglich gewechseltwird, zum Beispiel Früh-, Spät-, Nachtschicht, dann zwei Tagefrei. Die Erfahrungen der Betroffenen mit solchen Modellensind unterschiedlich: Solche Schichtplanmodelle erscheinenlangjährigen Schichtarbeitern auf den ersten Blick ungewohnt– doch haben sie bei vielen Beschäftigten eine deutliche Besserung gesundheitlicher Beschwerden bewirkt. Durch die sehrkurzen Wechsel kommt der Körper besser mit der Nachtschichtklar. Die Folge: insgesamt verlängern sich die Schlafzeiten derschichtarbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nachteildes Systems ist die Unübersichtlichkeit durch die schnellenWechsel. Einige Schichtarbeitende lehnen solche Modelle wegen ihrer schlechten Vereinbarkeit mit den Familienzeiten ab.Unternehmen sind daher gut beraten, unterschiedlicheSchichtmodelle zur Auswahl zu stellen. So werden Arbeitgeberam ehesten den persönlichen Gesundheitsinteressen der Beschäftigten gerecht.Der Magen hat nachts frei Der Magen arbeitet in Tagschicht. Dann produziert er die meisten Verdauungssäfte.Nachts ist die Verdauung stark eingeschränkt und nicht darauf vorbereitet, größere Mengen schwer verdaulicher Nahrung zu verarbeiten. 50 Prozent der Mitarbeiterinnen undMitarbeiter, die Nachtschicht arbeiten, klagen über Magen-Darm-Beschwerden. Daraus können sich Erkrankungender Verdauungsorgane entwickeln.Für alle Schichtarbeitenden ist es wichtig, regelmäßig zu essen. Wer zu unregelmäßigen Zeiten isst, bringt den Magenaus dem Takt. Wichtig ist nicht nur wann, sondern auch, wasgegessen wird. Deftiges Essen zum falschen Zeitpunkt führthäufig zu Müdigkeit und Verdauungsproblemen. Zu fettes,schwer verdauliches Essen in der Nacht überfordert den tagaktiven Magen. Eine bewusste Ernährung ist deshalb für alleSchichtarbeitenden von großer Bedeutung.Gut zu wissen!Gesundheitsförderungfür SchichtarbeitendeWährend der Nachtarbeit ist dieAufmerksamkeit eingeschränkt.Auch der Kopf ist nachts weniger fit Die Leistungsfähigkeit des Gehirns ist abhängig vom Schlaf-Wach-Rhythmus.Zwischen drei und fünf Uhr drosselt das Gehirn seine Leistung, ohne dass wir etwas dagegen tun können. Ein französisches Forschungsteam rund um den PsychologenJean-Claude Marquié untersuchte über zehn Jahre hinwegMänner und Frauen, die während dieser Zeit teilweise oderganz in Wechselschicht arbeiteten. Sie zeigten 2013: Vorallem bei Langzeit-Schichtarbeitenden verarbeitet das GehirnInformationen langsamer. Auch die Aufmerksamkeit ist geringer. Eine gesundheitsgerechte Schichtplanung sollte deshalbberücksichtigen, dass der Anteil kognitiv anspruchsvoller Arbeiten in der Nacht möglichst gering gehalten wird.Weitere mögliche Gesundheitsprobleme UnregelmäßigeArbeitszeiten von Schichtarbeitern machen es besondersschwierig, regelmäßige Essens- und Aktivitätszeiten einzuhalten. Die oft unausgewogene und unregelmäßige Nahrungsaufnahme führt bei manchen Schichtarbeitenden zuÜbergewicht. Kommen Bewegungsmangel und/oder Rauchenhinzu, kann es zu Bluthochdruck und in der Folge zur Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei schichtarbeitenden Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen kommen. DassSchichtarbeit allein die Ursache für die Entwicklung vonHerz-Kreislauf-Erkrankungen ist, ist möglich, wurde aber bisher nicht nachgewiesen.Auch innere Unruhe und Nervosität sind unter Schichtarbeitenden weit verbreitet. Gründe dafür liegen in der Schwierigkeit, mit dem „normalen“ Leben Schritt halten zu können.Gute Ernährung, ausreichend Bewegung,Stressabbau und genügend Schlaf – dassind die wichtigsten Ansatzpunkte dafür,sich selbst gesund zu erhalten. Für Schichtarbeitende ist ein solcher Ausgleich zu denBelastungen der Arbeit besonders wichtig.Mit gezielten Maßnahmen der BetrieblichenGesundheitsförderung können Arbeitgeberihre Beschäftigten dazu ermutigen undbefähigen, gesünder zu leben undHerz-Kreislauf- und anderen Beschwerdenvorzubeugen.Bei der Techniker finden Sie dafür vielfältigeAngebote – vom Entspannungskurs über dieKantinenberatung und Aktionstage bis hinzu umfassenden Projekten zur betrieblichenGesundheitsförderung. Für schichtarbeitende Beschäftigte gibt es darüber hinaus dieBroschüre „Wann ist Schicht?“. Mehr dazuunter firmenkunden.tk.de, Suchnummer2034818.
18 Schichtarbeit – Schichtarbeit und Gesundheit19weisen übereinstimmend darauf hin, dass das Unfallrisiko nach der siebten bisneunten Arbeitsstunde stark zunimmt. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dassdas Fehler- und das Unfallrisiko nach zwei bis drei Nachtschichten hintereinanderansteigen. Führungskräfte sollten in regelmäßigen Abständen diese Themen mitihrem Team besprechen, auch außerhalb regulärer Belehrungen.Wer nachts arbeitet,hat ein größeres Risikofür Unfälle.Erhöhtes Unfallrisiko auf Schicht Schichtarbeitende Unternehmen müssen besonders auf Sicherheit und Gesundheit im Unternehmen achten. Dazu gehört,Unfällen vor allem bei Nachtarbeit vorzubeugen und die Nachtarbeit auf das Notwendigste zu beschränken. Die menschliche Leistungsfähigkeit ist nachts generellvermindert. Die gleiche Tätigkeit wird von Schichtarbeitenden zu verschiedenenTageszeiten daher als unterschiedlich beanspruchend empfunden. Die Häufigkeitvon Fehlern und das Unfallrisiko sind nachts stark erhöht.Die Arbeitspsychologin Beate Beermann von der Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeitsmedizin zeigt, dass in der Spätschicht ein um 17 Prozent höheres Unfallrisiko gegenüber der Frühschicht besteht. In der Nachtschicht ist das Unfallrisikosogar um 30 Prozent höher als am Tag, vor allem zwischen zwei und vier Uhr. Dort,wo Nachtarbeit zwingend notwendig ist, sollten Arbeitsabläufe optimal gestaltetsein, um Unfallrisiken zu vermeiden. Der Betrieb sollte nach Möglichkeit zwischenzwei und vier Uhr keine aufmerksamkeitsintensiven oder fehlerkritischen Tätigkeiten vorsehen. Darüber hinaus sollte er Arbeitsbelastungen durch Gefahrstoffe,Lärm oder besonderen Arbeitsdruck reduzieren. Branchenübergreifende StudienFamilie und Freunde fördern die Gesundheit Wer in Schichten arbeitet, brauchtbesondere Rücksichtnahme und Unterstützung durch Familie und Freunde. Im privaten Umfeld können sich Schichtarbeitende erholen und neue Energie tanken –wichtig für die persönliche Ausgeglichenheit und Gesundheit. Doch die Zeit für dieFamilie und für gesellschaftliche Aktivitäten ist im Schichtdienst knapp. Familienmitgliedern gelingt es meist leichter, sich an die besondere Arbeitssituation anzupassen,als das bei Freunden der Fall ist. Die Anzahl von Freunden und Bekannten, mit denenSchichtbeschäftigte regelmäßig Kontakt haben, ist im Durchschnitt niedriger als beiBeschäftigten mit normalen Büroarbeitszeiten. Wenn die Abstimmung der Familienzeiten nicht klappt und das Verständnis von Freunden fehlt,drohen familiäre Probleme undsoziale Isolation.Schichtarbeitende müssen deshalb gemeinsam mit Partnerinoder Partner, mit Familie undFreunden individuelle Lösungen finden, um ihre Freizeitgenießen zu können und ihresozialen Kontakte nicht ausden Augen zu verlieren. Mehrere wissenschaftliche Studienzeigen: Schichtbeschäftigte haben den ausgeprägten Wunschnach mehr Zeit für sozialeKontakte. An dieser Stelle zeigtsich eine große Unzufriedenheit mit den Bedingungen vonSchichtarbeit. Fast die Hälfteder Schichtbeschäftigten stellteine negative Veränderung dereigenen Lebensweise durch dieSchichtarbeit fest.
20 Schichtarbeit – Schichtarbeit und GesundheitÄlter werden mit Schichtarbeit Inden nächsten zehn bis 15 Jahren wirdes einen dramatischen Rückgang dererwerbstätigen jungen Bevölkerunggeben. Das Durchschnittsalter der Erwerbstätigen steigt. Für die Schichtund Nachtarbeit in Betrieben bedeutetdas: Arbeitgeber müssen sich damitauseinandersetzen, wie Arbeitsplätze so gestaltet werden, dass auchSchichtarbeitende über 50 dort ohneSchwierigkeiten arbeiten können.Bei älteren Beschäftigten lässt die Regenerationsfähigkeit nach – dieSchichtwechsel fallen schwerer. Einund Durchschlafprobleme könnenstärker auftreten. Extreme Bedingungen am Arbeitsplatz belasten ältereMitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker. Dazu gehören zum Beispiel extreme Hitze oder Kälte, schwere körperliche Tätigkeiten oder Aufgaben, diehohe Ansprüche an das Seh- und Hörvermögen stellen. Körperliche Arbeitfällt älteren Beschäftigten nicht nursubjektiv schwerer, sie ist es auch objektiv. Mit ergonomischen Maßnahmenlassen sich hier rel
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